Zwei Ultras des FC Aarau sprechen über ihr Image, ihren Verein, Pyros in Stadien und den Petarden-Zünder der «Kettenbrücke». Sie wollen den Pyro-Fackler nicht wirklich kennen. «Er ist ein Einzelkämpfer.»
Nackter Oberkörper, Maske im Gesicht, ein Fanschal um den Hals, in der Hand eine Pyrofackel – und das mitten in der «Kettenbrücke» während der Aufstiegsfeier des FC Aarau.
Was ist das für ein Typ? Vielleicht ein Ultra, ganz sicher ein Idiot.
Drei Tage nach der Feier, 18 Uhr in einer Beiz in Aarau. Zwei junge Männer, vor sich je ein iPhone, ein Päckli Parisienne und ein Glas Eistee. Sie sind Ultras, sind sie auch Idioten?
Vorausgegangen ist dem Treffen das Versprechen, keine Fotos zu machen oder Namen zu nennen. Erst dann willigen die beiden Vertreter der Szene Aarau – der Dachorganisation der Aarauer Ultras – in ein Gespräch ein.
«Das ist ein Einzelkämpfer»
Ultras sind die heissblütigen Fans eines Clubs, die im Stadion für Stimmung sorgen. Sie üben Choreografien ein, sie schreien Sprechgesänge, sie verpassen kein einziges Spiel ihrer Mannschaft.
Ihre Liebe für den eigenen Verein ist bedingungslos. Im Gegensatz zu Hooligans sind Ultras grundsätzlich nicht gewalttätig. In der Bevölkerung haben sie trotzdem einen schlechten Ruf.
Mit dem Petarden-Zünder will niemand in einen Topf geschmissen werden – nicht einmal die Ultras. Die beiden Vertreter der Szene Aarau sagen, dass sie diesen Fan «aufs Schärfste verurteilen».
Das sei kein Ultra, sagt der eine, der schwarz gekleidet ist, ein Tattoo hat und dessen Handy ständig vibriert. «Das ist ein Einzelkämpfer.»
«Wir sind keine Engel»
Der Petarden-Zünder der «Kettenbrücke» gehört nicht zum harten Kern, sagt der andere und fügt an: «Ich kenne ihn nur flüchtig und habe ihm geraten, sich der Polizei zu stellen.»
Die beiden Männer führen das als Beispiel für die funktionierende Selbstregulierung an.
«In den Köpfen der Bevölkerung sind wir die dummen, gewalttätigen Siechen. Aber wir können doch nicht für alle Aarauer Fans die Verantwortung übernehmen.»
Die beiden Männer sehen das Ultra-Wesen als eine Art Subkultur. Junge Menschen, vom Bauarbeiter bis zum Geschäftsmann, zwischen 20 und 35, die etwas machen und eine Leidenschaft haben. «Das ist doch besser, als am Bahnhof zu sitzen und sich einen Joint reinzuziehen, oder?»
Die zwei Ultras gehen noch weiter. Sie würden eigentlich fast so etwas wie Jugendarbeit machen. Dann sind junge Menschen gut aufgehoben bei ihnen? Sie winden sich. «Was soll ich da sagen? Wir sind keine Engel.»
Die Nähe zur Illegalität gehört zur Ultra-Szene
Aber junge Leute seien im Ausgang auch nicht immer gut aufgehoben. Die Nähe zur Illegalität gehöre zur Ultra-Szene. Lieber erzählen sie, wie viel sie fürs Leben gelernt haben in den Jahren als Ultras.
Beispielsweise bei Sitzungen mit Verein und Polizei, bei der Lancierung eines Fanprojektes, der Organisation von Extrazügen. Und auch was im Stadion unorganisiert aussehe, sei streng orchestriert. «Da fackelt nicht einfach jeder mit einer Pyro rum, unsere Leute beherrschen das.»
Im Fan-Forum des FC Aarau ärgern sich Väter, dass am vergangenen Sonntag Petarden in der Nähe von Kindern gezündet wurden. Die zwei Ultras zeigen Verständnis dafür, sagen aber: «Wir haben die Leute vorher gewarnt.» Ausserdem sei es eine Ausnahmesituation gewesen, dass Petarden ausserhalb des Fanblocks gezündet wurden.
Werden Pyros abgefackelt, bezahlt der FC Aarau Bussgeld. Die Ultras sagen: «Wir setzten Pyros spärlich ein.»
Sie wollten ihrem Verein nicht schaden. Verbieten lassen würde sie sich die Petarden aber nicht. Das gehöre zur Fankultur und auch zum FC Aarau.
Die rechtliche Lage ist klar: Feuerwerk im Stadion ist nicht erlaubt. Wer beim Fackeln erwischt wird, bekommt Stadionverbot und eine Anzeige wegen Verstosses gegen das Sprengstoffgesetz.
Und es gibt einen Eintrag in die Hooligan-Datenbank. Die beiden Ultras kritisieren, dass Leute, die Pyros abfackeln, in der gleichen Datenbank verzeichnet sind wie gewalttätige Fans.
Mit stundenlanger Fanarbeit muss man sich bewähren
Ein Ultra wird man nicht von heute auf morgen. Zuerst müsse man sich bewähren. Zum Beispiel beim Basteln. So nennen die beiden Ultras das Herstellen der Banner, die in stundenlanger Handarbeit gemacht werden.
Ein Banner koste rund 1500 Franken. Finanziert allein durch Spenden. Wer ein Ultra werden wolle, müsse also zuerst einmal viel Zeit in die Fanarbeit investieren und brauche eine bedingungslose Solidarität zum Verein, erst dann werde man auf Empfehlung ein richtiger Ultra.
Der Kodex der Ultras: Jeder ist willkommen, politische Gesinnung und Nationalität spielen keine Rolle.
Man ist gegen die Kommerzialisierung des Fussballs – auch gegen sogenannte Cüpli-Fans. Man setzt sich ein für faire Eintrittspreise und den Erhalt der Stehplätze.
Was treibt sie an? Wenn nach dem Match einer zu ihnen komme und sage: «Geile Choreografie habt ihr wieder gemacht.»
Das sei toll, das sei der Lohn für die Arbeit. Oder wenn andere Fans für einen Moment die Choreografien anschauen und nicht die Spieler auf dem Platz. Schliesslich gehe es um Ansehen und Prestige gegenüber den Ultras anderer Vereine. Sie bezeichnen es als kreativen Machtkampf auf den Fanrängen.
Die beiden Männer waren Kinder, als sie das erste Mal im Brügglifeld standen. Schon damals waren sie fasziniert.
«Es gibt die Redewendung, dass nicht du selbst den Verein aussuchst, sondern der Verein dich», sagt einer. Das töne abgedroschen – aber irgendwie stimme es. Was bedeutet ihnen der FC Aarau? «Der FC Aarau ist unser Leben.»