Aarau
«Jetzt ist gut!»: Das abtretende Leitungsteam vom Theater Marie gibt eine Zugabe im Forum Schlossplatz

Nach zehn Jahren kommt es zum Leitungswechsel beim Theater Marie. Zum Abschied wird nachgeholt, was bisher zu kurz kam.

Anna Raymann
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Ein letztes Mal neu einnisten: Mit Olivier Keller und Patric Bachmann (rechts) verabschieden sich auch Daniel Steiner, Sophia Senn von der Marie.

Ein letztes Mal neu einnisten: Mit Olivier Keller und Patric Bachmann (rechts) verabschieden sich auch Daniel Steiner, Sophia Senn von der Marie.

Alex Spichale

Ihr letztes Stück auf dem Spielplan kündigt es an – «Wir haben genug». Das Leitungsteam vom Theater Marie verabschiedet sich. Vor zehn Jahren haben sich die Brüder Patric Bachmann und Olivier Keller, damals gemeinsam mit Pascal Nater und Erik Noorlander dem Aargauer Tourneetheater angenommen, nun, nach einer Dekade geben die Brüder den Stab weiter.

«Das Glas war so voll, der Tisch so reichhaltig gedeckt, dass wir völlig zufrieden sagen können: Jetzt ist gut», sagt Patric Bachman. Ab Sommer übernehmen Manuel Bürgin und Andrea Brunner (beide bisher im Theater Winkelwiese in Zürich) mit den drei Autorinnen Martina Clavadetscher, Julia Haenni und Maria Ursprung. Bis dahin bleibt noch etwas Zeit. «Es ist schön, so lange Abschied zu nehmen», sagt Olivier Keller.

Zuhause, aber ohne festen Wohnsitz

Ihre Zugabe geben sie im Forum Schlossplatz. Das Theater «ohne festen Wohnsitz» bezieht dort im Frühjahrsprogramm «Residenz Residenz» eine Heimat auf Zeit. «Es braucht nicht viel, damit sich die Marie zuhause fühlt: Es braucht einen Tisch, vielleicht Essen und gute Leute, mit denen man zusammenkommt», sagt Olivier Keller. Hierzu haben sie einen kreisrunden Tisch gebaut, an den sie sich Gäste einladen. Patric Bachmann:

«Eine Residenz ist geschenkte Zeit und geschenkter Raum. Das Theater Marie lebt vom Netzwerk und den Menschen. Wir wollen die Gelegenheit nutzen, diejenigen einzuladen, mit denen wir zu selten ausführliche Gespräche haben führen können.»

Und das sind in der ersten Runde der Stadtarchivar Raoul Richner, in der zweiten Theatermacherin Lisa Stepf und zuletzt das Kollektiv Celia und Nathalie Sidler.

Residenz Residenz

Zu Gast im Forum Schlossplatz

Das Forum Schlossplatz lädt Kunstschaffende dazu ein, in den hauseigenen Räumen zu residieren. Die Villa «zum Schlossgarten» wird zur Bleibe, zum Atelier und zur Bühne zugleich. Von Februar bis Mai 2022 beherbergt das Forum Schlossplatz Stirnimann-Stojanovic, MHTALS (Michael Husmann Tschaeni und Alain LAIN Schibli), Theater Marie, BiglerWeibel sowie Celia & Nathalie Sidler für jeweils zehn Tage.

Dass sie sich auch kurz vor Schluss noch neue Orte erschliessen, ist programmatisch für die Marie der letzten zehn Jahre. In ihrer Bewerbung 2012 verorteten Bachmann und Keller ihr künftiges Theater «dazwischen im Zentrum», sie ergründeten dramaturgische Räume genauso wie formale. Da gab es einen Hörspiel-Parcours auf dem Mühleareal in Suhr.

Sie bezogen die Alte Reithalle und durchdrangen mit «Schleifpunk» nach pandemischen Logiken den digitalen Raum. Und immer wieder überliessen sie die Bühne der Musik. Auch nach über 30 Produktionen hat sich keine Routine eingespielt, man habe sich stets neue Herausforderungen gesucht, erzählt Patric Bachmann:

«Für das Theatermachen ist es wichtiger, sich seine Neugierde zu bewahren, statt rein strategisch zu planen.»

Ist in dieser Fülle dennoch etwas vergessen geraten? «Dass wir es nicht geschafft haben, über den Röstigraben zu springen, nervt», sagt Keller, «dafür, dass Patric und ich zweisprachig aufgewachsen sind, ist es schade, dass wir nicht mehr zweisprachiges Theater haben in der Westschweiz zeigen können.»

Trotz Komfort nicht zu bequem werden

Mit Auftritten am Theatertreffen und Gastspielen in Bregenz hat sich das Aargauer Tourneetheater einen Namen gemacht. Der Kanton hat zwar kein Stadttheater, aber mit dem Theater Marie eine Instanz in der Szene. Die gesicherte Subventionierung vom Kanton ist Grundlage für eine gewisse Narrenfreiheit, die dem Schweizer Theater gut tut. Ohne den Druck, laufend neue Produktionen zu liefern, kann nachhaltig gedacht und geschaffen werden. Selbstbewusst sagt Patric Bachmann:

«Der Aargau kann stolz sein auf das Theater Marie. Die Strukturen sind schweizweit einzigartig.»

Dem Kanton liegt einiges an seinem Theaterschaffen, die neu renovierten Häuser in Baden und Aarau sind gebauter Beweis. Bequem werden darf man deswegen jedoch nicht. «Der Aargau muss aufpassen, kein Veranstaltungskanton zu werden. Über die Orte, wo Theater stattfindet, wurde zuletzt viel gesprochen.

Die Theaterproduktion muss wieder vermehrt in den Fokus der Förderung kommen», sagt Patric Bachman – und wird sich künftig für diese Anliegen kulturpolitisch etwa beim Aargauischen Kulturverband (AGKV) einsetzen: «Ich freue mich darauf, nach zehn Jahren etwas zurückzugeben.»

Wenn auch nicht länger als Marie wird das Team rund um Keller und Bachmann auch weiterhin auf- oder hinter den Bühnen zusammen kommen:

«Wir werden weiterhin zusammen Theater machen. Aber ab jetzt werden wir auch als Einzelne unterwegs sein – das ‹einzel› schmerzt etwas», so Keller.

Für das Theater Marie geht es mit neuer Besetzung weiter. Wenn der Abschied auch schwer fallen mag, die Übergabe fällt leicht, so Bachmann. Es ist ein Team, das viel verspricht. «Ich freue mich, dass die Marie mit drei Autorinnen im neuen Leitungsteam den Schwerpunkt noch mehr als wir schon auf zeitgenössische Dramatik legen wird.»

Residenz Residenz mit Theater Marie

Tafelrunde am 31. März und Schlussperformance am 3. April im Forum Schlossplatz, Aarau.
Publikation: Ohne festen Wohnsitz, Theater der Zeit, 128 S.