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Über 100 Stunden hat der Vater an diesem Weihnachtsgeschenk für seine Tochter gewerkelt.
Das Herz schlägt Germaine bis zum Hals. Den ganzen Tag über war die Tür zur Stube geschlossen, aber sie hatte es gehört, das Christkind, wie es in der Stube raschelte und werkelte. Fest hatte sie die Nase gegen das Schloss gedrückt, um einen kurzen Blick durchs Schlüsselloch zu werfen und einen Blick aufs Christkind zu erhaschen, doch vergeblich. Wie hatte sie sich heute gelangweilt, die Minuten bis zum Abend waren ihr wie Stunden vorgekommen, wie zähflüssiger Honig sind sie vorbeigezogen.
Doch jetzt ist es so weit. Es ist Heiligabend. Und sie hört das Glöcklein in der Stube. Jetzt darf sie die Tür öffnen, endlich, und da steht er unter dem festlich geschmückten Weihnachtsbaum: ein silberfarbener Herd mit Schalter, Heizplatten und Backofen, genau so, wie sie ihn aus Mamas Küche kennt, nur viel kleiner. Und es ist ihrer, Germaines eigener Kinder-Kochherd, ein Geschenk ihres Vaters. Sie kann ihr Glück kaum fassen.
So könnte es sich zugetragen haben im Jahr 1929. Germaine Hunziker-Bühler, damals sechs Jahre alt, bekommt von ihrem Vater Walter Bühler einen Spielzeug-Kochherd geschenkt. Kein gekaufter, sondern ein selbst gebauter, voll funktionstüchtiger Elektro-Kochherd mit Backofen, dazu Pfannen mit Deckel, eine Bratpfanne und zwei Backbleche. Eine exakte Kopie der ersten Kochherde, die in den Zwanzigerjahren auf den Markt kamen. «Germaines Vater hat rund 100 Stunden an dem Herd gearbeitet», sagt Kuratorin Dominique Frey vom Stadtmuseum Aarau, wo der Herd heute steht. «Selbst an die Belüftung des Backofens hat er gedacht.»
Walter Bühler war aus dem Toggenburg nach Aarau gekommen und hatte bei der Firma Bally in Schönenwerd gearbeitet, wo er Maschinen für die Produktion einrichten musste. «Wie uns Germaines Tochter erzählt hat, hatte Walter Bühler viel handwerkliches Geschick und ein gutes Verständnis für mechanisch-technische Zusammenhänge», so Frey. Er sei kein Vater gewesen, der mit seinen Kindern spielte, sondern erklärte ihnen viel lieber, wie man Dinge repariert, Schuhe beschlägt, exakt arbeitet und Verantwortung übernimmt. Als leidenschaftlicher Tüftler dürfte ihn die technische Herausforderung, ein exaktes Abbild des Kochherdes in der Küche nachzubauen, besonders gereizt haben. «Walter Bühler sass nächtelang in seiner Werkstatt und hat am Spielzeugkochherd getüftelt», sagt Frey.
Das Elektro-Kochherdli war nicht nur zum Spielen da: «Man konnte darauf tatsächlich kochen», sagt Frey. Germaines Tochter Margarethe Schmid-Hunziker erinnere sich, dass sie als Kind zuckersüsse Omelettchen oder Speckrösti auf dem Herd kochte oder kleine Apfelwähen buk. «Das habe jeweils Stunden gedauert und eine Engelsgeduld gebraucht, bis sie ausgebacken waren», sagt Frey.
Nachdem Germaines Töchter zu alt geworden waren, um mit dem Herd zu spielen, stand dieser jahrzehntelang in der Mansarde und wurde vergessen. Erst 2004, als das Hausdach renoviert und die Mansarde dafür geräumt werden musste, wurde der Herd wieder entdeckt und dem Stadtmuseum Aarau geschenkt. Hier steht er nun in der Ausstellung und macht Germaines Weihnachtsabend aus dem 1929 unvergessen. Noch heute ist er voll funktionstüchtig. Wer weiss, vielleicht darf irgendwann wieder ein kleines Mädchen einen Apfelkuchen backen - und sich vor lauter Aufregung die Finger am heissen Blech verbrennen. So, wie Germaine und ihre Töchter damals auch.
Stadtmuseum Aarau Di/Mi/Fr 11 bis 18 Uhr, Do 11 bis 20 Uhr, Sa/So 11 bis 17 Uhr. Montag geschlossen.