Gretzenbach
Himmel und Hölle in Gretzenbach-Däniken

Fünf Jahre lang stritt die Gemeinde Gretzenbach um ihren Seelsorger. Nun muss Hans Suck gehen und eine Frau aus Aarau übernimmt jetzt die Aufgabe. Und es ist eine schwierige Aufgabe: Die Kirche soll wieder geeint werden.

Max Dohner
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«Ich werde auch jetzt keine Schlammschlacht lostreten.» Hans Suck muss sich neu orientieren.

«Ich werde auch jetzt keine Schlammschlacht lostreten.» Hans Suck muss sich neu orientieren.

Chris Iseli

Das ist die Geschichte über ein Dorf, in dem es «eigentlich» alle gut meinten. Mit dem Ergebnis, dass fünf Jahre lang, abgeschottet gegen aussen, Streit schwelte. Erst seit gestern scheint er beigelegt. Scheint. Denn viele halten die aufgerissenen Gräben für so tief, dass es noch lange dauern könnte, bis die Kirche wieder im Dorf steht – buchstäblich. Es geht um die katholische Kirche in Gretzenbach-Däniken. Und um den Seelsorger, der Ende Juli gehen muss.

«Schliesst die Tür!», kam die Order vom Präsidium, als es nach langem Gescharre losging. «Aber nicht abschliessen», sagte einer sofort, «man kann nie wissen ...» Anspannung war deutlich zu spüren. Lag dafür Schokolade auf den Tischen? Um die Stimmung – wenn nicht zu versüssen – so doch wenigstens zu heben? Der Römersaal von Gretzenbach SO, gleich neben der katholischen Kirche, war noch nie so voll. Zusätzliche Stühle mussten herbeigeschafft werden. «Ich habe keine Kopien der Rechnung mehr!», seufzte schon am Anfang die Finanzverwalterin.

Das war zwar der Anlass: eine ganz normale «Rechnungsgmeind» der Katholischen Kirchgemeinde von Gretzenbach-Däniken (das Ergebnis schloss erfreulich, mit einem Überschuss). Unerfreuliches aber sorgte für den Rekordaufmarsch: ein fünfjähriger Streit, der die Gemeinde «tief gespalten» hatte, wie man an diesem Abend mehrfach hörte.

Ungewöhnlich in Kirchenkreisen: Es wurde laut, es wurde persönlich

In der Tat muss der Konflikt tief gegangen sein. Mehrere Gemeindemitglieder überlegten sich einen «partiellen Austritt aus der Kirche» (mit Abgängen bzw. Steuerausfällen kämpft man ohnehin genug, genau wie anderswo). Das waren – notabene – Leute, die sich viele Jahre für ebendiese Kirche engagiert hatten. Anders gesagt: Für ihren Seelenfrieden schien ihnen Distanz zur Vermittlerin fürs Seelenheil das kleinere Übel.

Der Grabenkampf habe auch, sagte jemand, die reformierte Kirche angegriffen – wie genau, war nicht zu eruieren. Im Saal sass eine Reformierte und meldete sich. Präsident Franz-Xaver Schenker unterbrach sofort. Die Anhängerin des Seelsorgers Hans Suck, um den sich der Abend drehte, war weder stimm- noch redeberechtigt. «Ich kann auch nicht in den Nationalrat und da hallejen», sagte Schenker, ehemals Präsident des Solothurner Bauernverbandes.

Das Erstaunlichste aber war dies: Es war überhaupt das erste Mal, dass vom Ganzen etwas nach aussen drang. Da hatte die zerstrittene Gemeinde verblüffend geschlossen dichtgehalten, jeder freilich aus anderen Gründen: Anhänger von Suck und Kritiker hofften lange, die Sache liesse sich regeln. Das Bistum Basel befürchtete anscheinend einen zweiten Fall Röschenz, sollte sich die Gemeinde gegen die Empfehlung bzw. Weisung des Bischofs wenden.

Am Anfang der Versammlung schien noch beides möglich: eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses mit dem Seelsorger Hans Suck. Oder dessen definitives Ende in Gretzenbach.

Es wurde turbulent. Selten zu hören in kirchlichen Gremien: Es wurde laut. Und es wurde, mit bitterem Unterton, persönlich, eingeleitet jeweils mit dem vertrauten Vornamen (fast alle duzten sich). Auch Hans Stuck stand auf und tat das, was er tunlichst hatte vermeiden wollen: Er verlor die Contenance. Die Möglichkeit, sein Amt eventuell doch zu verlängern, löste sich in Luft auf. Der Präsident hatte phasenweise Mühe, zur Ordnung zu mahnen.

Am Ende, draussen vor der Tür, bedauerte Suck zutiefst, drin die falschen Mittel zu seiner Verteidigung gewählt zu haben. Er schien zerknirscht und willens, nicht länger Grubengas entweichen zu lassen. Suck war umgeben von einem Kreis von Getreuen. «Die andere Seite hatte die besseren Redner», sagten sie. Suck fragte, ob noch jemand mitkomme, um den Abend zu verarbeiten. Aber es winkte die Fussball-Europameisterschaft am Fernsehen. Es wurde einsam um Hans Suck.

Unterschriftensammlung für den Seelsorger, aus dem Aargau

So habe er sich zunehmend gefühlt, sagt Hans Suck, zunehmend einsam. So habe es vor fünf Jahren schon angefangen: mit «Gegnerschaft» aus verschiedenen Zirkeln der Gemeinde. Mit einem Vorgesetzten des Regionalraums (dem geplanten Zusammenschluss katholischer Kirchgemeinden), mit dem es schwierig gewesen sei. Mit «Mobbing», mit «Intrigen». Suck bekundete Mühe, bekundete das auch offen, manchmal so, dass nun andere damit Mühe bekundeten. Die Gemeinde stellte ihm einen Begleiter zur Seite.

Es ging zwischenzeitlich besser, Sucks Anhängerschaft wuchs. Darum sei er, trotz aller Widrigkeiten, immer geblieben, sagt er, weil er diese «tolle Gemeinschaft» in Teilen nicht habe aufgeben wollen. Und seine Sympathisanten wollten ihn nicht ziehen lassen. Das bezeugten sie mit einem Brief an Bischof Felix Gmür, verfasst von Guido Ducret, Theologe und Gemeindeleiter a.i. aus Tägerig AG. Der Brief an den Bischof war versehen mit über 250 Unterschriften. Doch das Bistum hatte von allem Anfang an Bedenken gegen Hans Suck angemeldet. Der aus dem deutschen Bodenseeraum stammende Seelsorger solle nur vorübergehend angestellt werden, hiess es. Nach Ablauf dieser Frist werde Sucks Missio mit Sicherheit nicht verlängert. Warum war man von Anfang an gegen ihn?

Die Regionalverantwortliche des Bistums, Gudula Metzel-Vitallowitz, sagt: «Es war zu vermuten, dass es für Hans Suck eine Überforderung darstellen könnte, allein in einer Pfarrei eingesetzt zu werden. Deshalb kam nur eine befristete Lösung infrage. Ein Seelsorger ist ein wichtiges Element in einer Pfarrei. Selbstverständlich entsteht auch eine Verbindung zwischen dem Seelsorger und den Pfarreimitgliedern. Wie so oft, so gibt es auch hier geteilte Meinungen. Einige sind dafür, andere sind dagegen. Es ist aber Aufgabe eines Seelsorgenden, die Funktion als Hirte wahrzunehmen, zu einen und nicht zu trennen.»

Gibts auch zu Seelsorgern Fichen, faktisch also ein Berufsverbot?

Hans Suck kämpfte lange. Die Gemeinde bot lange Hand dazu, ihn im Amt zu lassen. Beide Seiten gerieten dadurch in Konflikt mit dem Bistum. Doch im Unterschied zum Fall Röschenz leisteten beide Seiten dem nicht Vorschub. Von Suck sind keine antihierarchischen Äusserungen gegen die Amtskirche bekannt, geschweige denn explizite Insubordination. Beide Seiten beklagen die «mangelhafte Bereitschaft» des Bistums, sich die Sache anzuhören, dazu einen gewissen Verordnungs-Stil.

Dazu sagt Gudula Metzel: «Um die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten zu schützen, kann nicht alles öffentlich gemacht werden. Bei mir war bis jetzt auch keine Medienanfrage eingegangen.» Präsident Schenker zeigte sich ungehalten an der Versammlung, dass vom Bistum in der letzten Phase versucht worden sei, «uns den schwarzen Peter zuzuschieben». So etwa habe es fälschlicherweise plötzlich geheissen, eine Weiterführung von Sucks Amt scheitere letztlich an den Kosten.

Wie weiter? Für Hans Suck persönlich (er muss Ende Juli gehen). Und für die Gemeinde?

In Gretzenbach will man Suck nicht die Zukunft verbauen. Wieder bekam er dafür einen Berater. «Aber die Fichen von Theologen», heisst es, «gehen halt rum.» Ist das so? An der Rechnungsgmeind kam eine Reihe bizarr-banaler Vorwürfe zur Sprache. Offenbar nagt am meisten das Kleine. Der Präsident lobte Suck einerseits als «sehr guten Theologen», deutete aber Zweifel an in Bezug auf «Teamfähigkeit». – «Nie wurde klar kommuniziert», klagt Suck, «weshalb nicht nur ein Verbleib in Gretzenbach nicht möglich ist, als vielmehr auch ein bistumsweites Bewerbungsverbot (zwischen Bümpliz und Arbon) angeordnet wurde. Auch habe ich, allen Unkenrufen zum Trotz, keinen einzigen Gottesdienst verschlafen.» Kritische Stimmen mit Gewicht sagten, die Gräben seien so tief, dass man jetzt nicht einfach «Schwamm darüber!» deklarieren könne. Zuerst müsse «eine professionelle Mediation» den Boden für Frieden bereiten.

Nachfolgerin kommt aus Aarau

Gestern wurde das Amt neu besetzt: Nachfolgerin von Hans Suck ist Elisabeth Bernet aus Zetzwil AG. Elf Jahre lang war die im Spessart geborene Theologin Pastoralassistentin in Aarau. Sie veröffentlichte auch Gedichte. Zu einem Band schreibt sie: «Die schönste Bitte fand ich bei Rilke: ‹Gib mir noch eine kleine Weile Zeit, ich will die Dinge so wie keiner lieben.› Ich erhoffe mir nicht, besser als andere lieben zu können, aber es auf meine Weise zu tun.»

Und Hans Suck? Er werde «keine Schlammschlacht lostreten», sagt er – und fügt leise sarkastisch an: «Betet, freie Schweizer, betet!»