Gränichen
«Ich konnte einfach nicht aufhören, zuzuhören» – Brigitt Lattmann hat Wynentaler Sagen und Geschichten gesammelt

Eigentlich wollte die Gränicher Fotografin Brigitt Lattmann ein Hosensack-Büchlein mit Neckischem zu den Wynentaler Gemeinden schreiben. Geworden ist es ein 240 Seiten starker Bildband.

Katja Schlegel
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Brigitt Lattmann gibt ein über 240 Seiten starkes Buch über Sagen und Geschichten aus dem Wynental heraus.

Brigitt Lattmann gibt ein über 240 Seiten starkes Buch über Sagen und Geschichten aus dem Wynental heraus.

Bild: Mathias Förster

Ob es das Quecksilber war? Oder vielleicht doch der Durchbruch, der geschlagen worden war, um die Stadt Hegnau zu ersäufen? Sicher ist: Heute gibt es im Wynental weder See noch Hegnau. Aber die Sagen, die sich um den sogenannten Gondelisee und sein Verschwinden ranken, die gibt es. Die vom Quecksilber, das ein Burgvogt ins Wasser giessen liess, um ihn auszutrocknen. Oder eben die von der künstlichen Flut, mit der ein Graf die verfeindete Stadt hinwegfegen liess.

Die Geschichten rund um den Gondelisee sind es, die es der Gränicher Fotografin Brigitt Lattmann, 70, besonders angetan haben. Wenn man das so überhaupt sagen kann. Seit drei Jahren arbeitet sie an einem Bildband über Wynentaler Geschichten und Schauplätze, der Titel: «Kurioses Unglaubliches und schaurig Schönes». Und was unter diesem Titel zusammengekommen ist, hat selbst die Einheimische überrascht.

Der Schnöörhübel auf Reinacher Gemeindegebiet: Hier sollen sich gemäss Sage zum «Gondelisee» die eisernen Ringe befunden haben, an denen die Schiffer ihre Kähne oder die Bauern ihre Kühe zum Tränken angebunden haben.

Der Schnöörhübel auf Reinacher Gemeindegebiet: Hier sollen sich gemäss Sage zum «Gondelisee» die eisernen Ringe befunden haben, an denen die Schiffer ihre Kähne oder die Bauern ihre Kühe zum Tränken angebunden haben.

Bild: Brigitt Lattmann

Jeder Besuch hat sich gelohnt

Seit drei Jahren schürft und sammelt sie also, hört zu und schreibt, fotografiert und liest nach. Sie hat in unzähligen Küchen und Stuben zwischen Burg und Suhr gesessen und literweise Kaffee getrunken. Und hat notiert. Mal seitenlang, mal nur drei Sätze. «Aber jeder Besuch hat sich gelohnt.» So hat sie erfahren, weshalb die Gontenschwiler früher Zettel in Astlöcher steckten, wie der Totenbach in Zetzwil zu seinem Namen gekommen ist, was die Suhrer mit einer alten Grabplatte angestellt haben und was es mit dem mit Blut bemalten Stoffsäckli in Dürrenäsch auf sich hat. Jetzt ist das Buch in der Schlussphase.

Ursprünglich hatte es ein «Hosensackbüechli» werden sollen, Lattmanns Corona-Beschäftigungsprojekt. Was Kleines, Leichtes für den Sonntagsspaziergang abseits der gewohnten Wege, für ein Schmankerl zwischendurch, ein paar Häppchen zum Staunen oder Besserwissen. Lattmann lacht, inzwischen bräuchte man ein Maultier, um das Buch mit auf den Spaziergang zu nehmen: 240 Seiten stark ist das Buch, ein ordentlicher Schinken. «Aber jede Seite ist es wert.»

Von ihrer ursprünglichen Idee, nur über die Dörfer und alte oder verschwundene Häuser zu schreiben, ist sie rasch abgekommen. «Hält man die Ohren offen, merkt man schnell, dass das wirklich Spannende das ist, was nicht in den Dorfchroniken steht.» Also fing sie an, die Wynentaler zu besuchen und sie erzählen zu lassen. Von früher, von heute, von Wahrem oder Dahergesagtem. Und damit war es eben geschehen; sie konnte nicht mehr aufhören. «Je mehr ich hatte, desto spannender wurde alles.»

Was der Wald mit dem Tal gemacht hat

Entstanden ist nun eine Mischung: Sagen, wie sie unter anderem Historiker Ernst Ludwig Rochholz bereits vor 170 Jahren niedergeschrieben hat, dazu sachliche Texte rund um das Dorf und seine Häuser. Und dann die mündlichen Berichte, die Lattmann gesammelt hat, sowie die dazu passenden Fotos. Alles unterschiedlich gelayoutet, damit klar ersichtlich ist, worum es sich handelt. Perfekt, um einfach zu «schnöiggen», und das längst nicht nur für Wynentaler: «Auswärtige sollen mit diesem Buch die Schönheit unseres Tals entdecken.»

Wenn Lattmann eines beeindruckt hat, dann die Tatsache, dass sie, die in Gränichen aufgewachsen ist und seit Jahrzehnten hier wohnt, das Tal nochmals ganz neu kennen gelernt hat. «Vor allem hat mich erstaunt, wie sehr der Wald die Menschen und ihre Geschichten geprägt hat», sagt sie. «Die Geschichten und Sagen vom östlichen Hügelzug unterscheiden sich in ihren Inhalten ganz deutlich von denen des westlichen Gebiets, wo die Wälder bereits im 15. Jahrhundert massiv gerodet worden waren.» Wo Wald ist, sind sie geprägt von mystischen Wesen, von Geistern und Hexen. Wo kein Wald ist, sind sie geprägt von Armut, Streit und Missgunst. «Das hat mich zu Beginn richtiggehend erschüttert. Aber mit je mehr alten Wynentalern ich gesprochen habe, desto deutlicher wurde es. Sie haben alle das Gleiche erzählt.»

Geschichten, die sonst verloren gehen

Wohl war es ebendieses Erzählen, das Lattmann so viel hat arbeiten lassen. «Ich konnte einfach nicht aufhören, zuzuhören. Es sind Geschichten, die sonst einfach verloren gehen, weil sie einfach nie irgendwo notiert wurden. Das treibt mich um, noch immer.» Es soll deshalb auch nicht das letzte Buch dieser Art sein, sagt sie. Aber jetzt müsse sie erst einmal durchatmen. Und das geniessen, was entstanden ist. «Ich freue mich darauf, dass sich nun andere auch an den Geschichten erfreuen können.»

Im Spätsommer kommt das Buch in den Handel, bestellen kann man es aber jetzt schon (bis Ende April für 45 Franken statt 59 Franken). Bereits im Sommer will Lattmann erste Führungen anbieten. Infos und Bestellungen über info@brigittlattmann.ch