Ein Nachmittag in Aarau
Freiwillige vor!

Silvia Dell’Aquila (42) betreibt die Plattform «We love Aarau». Die Soziologin ist Regionalleiterin VPOD. In ihrer Kolumne «Ein Nachmittag in Aarau» schreibt sie heute darüber, dass Stadtangestellte bei «richtigen» Einsätze in der freiwilligen Feuerwehr neuerdings freinehmen müssen. Die Stadt nimmt derweil Replik und widerspricht.

Silvia Dell’Aquila
Silvia Dell’Aquila
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Feuerwehr-Einsatzkräfte bei einem Löscheinsatz. (Symbolbild)

Feuerwehr-Einsatzkräfte bei einem Löscheinsatz. (Symbolbild)

KEYSTONE/ANTHONY ANEX

Wir sind schon in der Vorweihnachtszeit und «Nez Rouge» macht auf seinen Fahrdienst aufmerksam, der Leben retten kann. Dieser Dienst wird seit Jahren von Freiwilligen geleistet. Und wir sind froh darum! Vieles wäre ohne den ehrenamtlichen Einsatz von Menschen, die sich für uns alle engagieren, nicht möglich. Die Altersheime sind um Freiwillige froh, die in vielen Bereichen tatkräftig unterstützen, Asyl- und Integrationsstellen sind auf Menschen angewiesen, die den Kontakt zwischen unserer und der fremden Kultur herstellen und so die Integration von ausländischen Personen stark fördern, Deutsch- oder Bastelkurse organisieren oder auch eine Bar, in der alle willkommen sind wie auch Kleidersammlungen auf die Beine stellen und noch vieles mehr leisten.

Kulturinstitutionen würden ohne ehrenamtlicher Arbeit teilweise gar nicht funktionieren, Parteien, Verbände – ja, praktisch alle Vereine jeglicher Art sind auf Freiwilligenarbeit angewiesen. Trotz gesellschaftlicher Individualisierung gibt es also immer noch Menschen, die sich zusammentun, um auf ihre Weise für die Gemeinschaft viel Gutes zu tun. Zurück kommt nicht viel, vielleicht eine kleine Entschädigung oder ab und an ein Dankeschön. Wir sind alle angewiesen auf diese Menschen, die in unserer Gesellschaft wirken und diese beleben.

Alles gut? Nein, denn diese Art von Engagement nimmt immer mehr ab. Wie man auch am Beispiel der Milizpolitik sieht: Obwohl (vielleicht) Ruhm, Ehre und auch Entschädigungen winken, wird es immer schwieriger, Leute für die verschiedenen Ämter zu finden. Und auch in der freiwilligen Feuerwehr ist die Rekrutierung nicht so einfach wie früher. In unseren Kleinstädten und Dörfern gibt es keine Berufsfeuerwehren wie in grösseren Städten, sondern freiwillige. Gerade dieser Dienst ist, nicht nur in diesen Monaten, wenn bald Kerzen an den Tannenbäumen hängen, von elementarer Bedeutung für die Bevölkerung. In der Feuerwehr engagieren sich Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten und Kompetenzen, es wird an ganzen Abenden für den Ernstfall geübt und es muss sehr oft schnell reagiert werden. Wenn nötig muss auch mal der Arbeitsplatz blitzartig verlassen werden. Sehr viele Arbeitgebende gewähren deshalb auch den vollen Lohn, wenn ihre Angestellte an einen Einsatz rennen müssen. Das ist so üblich und einen Dienst an die Bevölkerung.

Ausgerechnet die Stadt Aarau selbst hat im Reglement, das im Sommer totalrevidiert wurde und ab nächstem Jahr gilt, diesen Passus gestrichen. Die Stadtangestellten erhalten bei Einsätzen nicht mehr den vollen Lohn, sondern müssen freinehmen, um an einem Einsatz teilzunehmen, also einen «Ferientag» beziehen. Wir reden nicht von Übungen oder Kursen, sondern von «richtigen» Einsätzen. Werden so die Menschen wertgeschätzt, die sich in der freiwilligen Feuerwehr engagieren, die notabene selbst auch eine Abteilung der Stadt ist? Und was für ein Vorbild gibt die Stadt Aarau gegenüber Arbeitgebenden in der Privatwirtschaft ab, die ihren Angestellten, die in der Feuerwehr tätig sind, eine volle Lohnfortzahlung gewähren? Klar, die Feuerwehrmänner und -frauen erhalten einen Sold. Das sollte nach Meinung einiger doch reichen.

Doch gerade die Stadt sollte ihre eigenen Angestellten und nicht nur motivieren, sich in der Feuerwehr einzusetzen. Mit der neuen Regelung macht sie genau das Gegenteil. Wie dies im (zwar etwas chaotischen) Vernehmlassungsverfahren oder auch in der Einwohnerratsdebatte untergehen konnte, ist mir immer noch ein Rätsel. Im Januar wird das Reglement in Kraft treten und die Angestellten, die in der Feuerwehr tätig sind, werden sich mehr als einmal überlegen, ob sie den Arbeitsplatz verlassen wollen, um ein Feuer zu löschen. Rollen Sie nun innerlich mit den Augen? Nun gut, dann springen Sie doch ein. Oder sollen es lieber die anderen machen, während Sie es sich in Ihrer warmen Stube bequem machen und einen Film schauen? Wer sich freiwillig einsetzt, soll Wertschätzung erfahren und nicht noch schikaniert werden. An dieser Stelle deshalb ein grosses Dankeschön an euch allen, liebe Freiwillige!

Feuerwehr: Stadt widerspricht Dell’Aquila

Müssen die Angestellten der Stadt Aarau freinehmen, wenn sie einen Feuerwehreinsatz leisten? «Ja», sagt VPOD-Regionalsekretärin und alt Einwohnerrätin Silvia Dell’Aquila in ihrer AZ-Kolumne vom Dienstag und verweist auf das neue Personalreglement. «Die Stadtangestellten erhalten bei Einsätzen nicht mehr den vollen Lohn, sondern müssen freinehmen, um an einem Einsatz teilzunehmen, also einen ‹Ferientag› beziehen.» Das stimme nicht, sagt nun die Stadt Aarau in einer Stellungnahme. Wer hat recht?

Die Sache ist verzwickt. Im alten Personalreglement stand, dass während des Feuerwehrdienstes – wie auch während des Zivilschutz-, Zivil- und Militärdienstes – «Anspruch auf das volle Gehalt besteht». Im neuen Reglement, das im Januar in Kraft tritt, fehlt tatsächlich die explizite Nennung des Feuerwehrdienstes. Aus dem Rathaus heisst es nun, dass der Feuerwehrdienst neu unter «Kurzabsenzen» falle (wie etwa Arztbesuche). Er gelte als «Kurzabsenz infolge Erfüllung gesetzlicher Pflichten». «Mitarbeitende der Stadt Aarau dürfen auch künftig während der Arbeitszeit Notfalleinsätze für die Feuerwehr leisten», versichert die Kommunikationsstelle der Stadt. Doch erhalten sie während dieser Zeit auch Lohn? Diese Kurzabsenzen würden als «anrechenbare Fehlzeiten» gelten und seien daher bezahlt, so die Kommunikationsstelle. Auch für Stundenlöhner? «Im Stundenlohn angestellt sind Mitarbeitende mit unregelmässigen Arbeitspensen. Wenn sie den Arbeitsplatz verlassen müssen, oder einen fest geplanten Arbeitseinsatz nicht antreten können, wegen eines Notfalleinsatzes der Feuerwehr, so ist die Absenz auch bei ihnen anrechenbar.»

Silvia Dell’Aquila bleibt skeptisch: «Andere Gemeinden und insbesondere der Kanton regeln Feuerwehreinsätze auch nicht unter Kurzabsenzen, sondern bei den Bestimmungen über die Lohnfortzahlung.»
Das neue Personalreglement wurde im Juni im Einwohnerrat verhandelt. Es erhielt Beachtung über die Stadtgrenzen hinaus wegen einer eher ungewöhnlichen Neuerung: Ein bezahlter Vaterschaftsurlaub von 20 Tagen, die am Stück oder tageweise bezogen werden können. Der Stadtrat hatte 10 Tage vorgesehen, der Einwohnerrat stockte jedoch grosszügig auf. (NRO)