Neue Kolumne
Es wüten die Blüten und toben die Mikroben

Dr. Florian Riniker (42) ist neuer Kolumnist der AZ. Er arbeitet als Magen-Darm-Spezialist in Aarau und wohnt in Suhr.

Florian Riniker
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Bakterien, Einzeller, Pilze, Viren: Zehntausende von Mikroben leben in uns und mit uns.

Bakterien, Einzeller, Pilze, Viren: Zehntausende von Mikroben leben in uns und mit uns.

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Was für eine Jahreszeit. Am vergangenen Wochenende war ich mit dem Velo unterwegs und konnte, als Nicht-Allergiker, die Pracht der Blüten und die Wucht des Grüns in vollen Zügen geniessen. In keinem anderen Monat als im Mai zeigt sich die Natur in ihrer unbändigen Kraft und geballten Entwicklung eindrücklicher. Nach starren, kalten Zeiten wird fortgepflanzt und ausgetrieben. Eine positive Energie liegt über allem. Das Leben von Tieren und Pflanzen in unserer Klimazone ist perfekt angepasst an das Kommen und Gehen von Licht und Wärme. In dieser Folge lebt auch der Mensch, jetzt wird gesät und gejätet, was vor dem nächsten Winter geerntet werden muss. Die Jahreszeiten sind der bestimmende Ablauf für Landwirtschaft, Brauchtum und Kalender.

Ein paar Ebenen tiefer, auf mikroskopischer Ebene, gelten andere Zeiträume: Die Vermehrung läuft hier rasend schnell. Unsere Umgebung, Haut und Körperöffnungen sind belebt und beseelt durch mikroskopisch kleine Lebewesen, Bakterien, Einzeller, Pilze, Viren, in ihrer Summe genannt Mikroben, oder, je nach Milieu in ihrem balancierten Zusammenleben als Flora bezeichnet. Als Arzt und als Mann mit Flora im Vornamen kann ich dazu Interessantes berichten und weiss, wie wichtig die Stabilität dieser kleinen Dinger sind.

Essen Sie frisch und saisonal, küssen Sie so oft es geht und begrüssen Sie Ihre Mitmenschen herzlich per Handschlag.

Wie schnell vermehrt sich ein Bakterium? Escherichia coli, der bekannteste Bewohner unseres Darmes beispielsweise, verdoppelt sich in nur 20 Minuten. Wenn Temperatur und Nahrungsangebot stimmen, können sich innerhalb weniger Stunden aus einem einzigen Bakterium mehr Kopien entwickeln, als es Menschen auf diesem Planeten gibt. Krankmachende Keime auf Lebensmitteln vermehren sich bei höheren Temperaturen rascher: Der Kühlschrank dürfte wohl in den letzten Jahrzehnten weit mehr Krankheiten vermieden haben als die Medizin.

Darm-, Mund- und Hautflora sind ein fein ausbalanciertes Zusammenleben guter und potenziell gefährlicher Keime. Hier braucht es wohl keine Probiotika. Die Störung dieses Gleichgewichts oder der Kontakt mit den falschen Sorten aber können zu Krankheiten führen. Gewisse Keime, in ausreichender Menge, am ungünstigen Ort, können brandgefährlich sein.

Das Wissen um die Übertragungswege von Krankheiten ist noch nicht so alt. Es war 1847 der Wiener Chirurg Dr. Semmelweis, der beweisen konnte, dass die Sterblichkeit der Mütter bei einer Geburt zurückgeht, wenn das Spitalpersonal sich die Hände wäscht.

Sollen wir uns nun nicht mehr berühren oder nur noch aus dem Tiefkühler oder der Fritteuse essen? Überhaupt nicht. Essen Sie frisch und saisonal, küssen Sie so oft es geht und begrüssen Sie Ihre Mitmenschen herzlich per Handschlag. Doch auf dem WC, in der Küche, vor dem Essen, auf der Arbeit, nach dem Ausflug, denken Sie an Wasser und Seife.

Lyrisch sag ich’s Euch zum Ende: Lebet frei, doch wascht die Hände.