Hochsaison im Politbetrieb! Wahlen und Abstimmungen, dann Wahlen und nun wieder Abstimmungen – es gibt noch keine Verschnaufpause. Wir Stimmbürger müssen noch etwas Ausdauer beweisen, die Feder gespitzt halten, aufmerksam die Zeitungen lesen und sich durch Social-Media-Kanäle zappen. Schon bald flattert das nächste Abstimmungskuvert in die Haushaltungen.
Eine Bekannte beklagte sich denn auch schon über diese nicht aufzuhören wollende Ruhestörung durch die Politik. Doch just als sie das Plakat mit den traurigen, fremdländisch anmutenden Kinderaugen am Kandelaber vor ihrer Haustür sah, war ihr Überdruss verflogen und ihr Interesse geweckt. Ziel also erreicht, zumindest das der involvierten Werbebüros und deren Auftraggeber. Die Emotionen werden bei der Betrachterin offensichtlich wie gewünscht geweckt, Mitleid hervorgerufen, gar das schlechte Gewissen angetippt – und schon ist die Meinung so gut wie gemacht. Aber wer möchte schon gern in die Werbefalle tappen und den Sachverstand ob der aktivierten Tränendrüse vergessen? Da hilft nur ein Faktencheck mittels Offenheit gegenüber Argumenten beider Seiten und eine Prise Reflexion übers eigene Konsumverhalten.
Abstimmen werden wir bei der einen Vorlage im Grundsatz darüber, wann und wie Schweizer Firmen und deren Zulieferer, von klein bis gross, bei Fehlverhalten im Ausland haften müssen und das vor Schweizer Gerichten nach Schweizer Recht. Je nach dem also auch vor dem Gericht in Aarau, obwohl der strittige Vorfall beispielsweise in Sambia, Kongo oder Nigeria stattgefunden hat. Wie das in der Praxis fair funktionieren soll, kann ich mir schlecht vorstellen. Diverse Staaten brillierten bislang ja nicht mit verlässlicher Rechtshilfe.
Verletzungen von Menschenrechten und von Umweltstandards kann niemand goutieren, egal wo sie und durch wen sie stattfinden. Darin sind sich alle einig. Was aber hätte diese Abstimmung bei einem Ja an der Urne insbesondere auch mit der Region Aarau zu tun?
Die hiesigen Juristen würden sich über zusätzliche Aufträge freuen, während der Schreiner das Angebot an fremdländischen Holzarten streichen würde, die Betreiber von Coffeeshops aufgrund der aufwendigen Sorgfaltspflichtprüfung fürs Wirken des Kaffeebauers, des Händlers und der Rösterei auf heimische Teesorten ausweichen müssten und Kleiderläden auf Produkte aus Schweizer Wolle statt importierter Baumwolle setzen könnten.
Die städtische und andere Pensionskasse müssten dann ihre Investitionen überdenken und präventiv auf Rendite verzichten, die Wirtschaftsfachstelle würde bei Akquisitionsbemühungen für Neuansiedlungen von Firmen wegen der grossen Rechtsunsicherheit auf Granit beissen. Das Wirtschaftsleben würde sich verlangsamen und damit die Arbeitsplätze reduzieren, nicht nur hier, sondern insbesondere in den Ländern der Geschäftspartner.
Was aber kann ich selber tun, um Veränderungen zum Guten zu forcieren? Als Konsumentin habe ich eine grosse Macht. Dank den geltenden Deklarationsvorschriften und dem Internet kann ich mich sehr detailliert über die Herkunft und die Produktion von den allermeisten Gütern des täglichen Gebrauchs informieren. Missfällt mir dabei etwas, so ist es an mir, andere Ware einzukaufen. Tun wir das alle, dann verändern wir mehr, als gewisse Gesetze erreichen können – weil wir den Austausch mit der Welt nicht behindern und einschränken, sondern in die gewünschte Richtung lenken.
Martina Suter (56) ist Juristin und Unternehmerin sowie Präsidentin des Kreisschulrats. Sie wohnt in Aarau.