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Patric Husistein aus Auenstein hat als Bub einen Schlaganfall erlitten. Noch heute fällt ihm das Sprechen nicht leicht. «Wenn ich mit jemandem Fremdem rede, bin ich oft nervös und muss nach Wörtern suchen.»
1991, mit vierzehn Jahren, hat Patric Husistein einen Hirnschlag erlitten. Der aufgeweckte Bursche, der Koch werden wollte, verlor die Sprache und war halbseitig gelähmt. Eine intensive Therapiephase mit Logopädie und Physiotherapie am Kantonsspital Aarau und einem Therapiezentrum in Deutschland während mehr als anderthalb Jahre sowie eigene Anstrengungen brachten Patric Husistein sein Sprachvermögen zurück. Allerdings ist es noch immer eingeschränkt. Bei Sprachstörungen und Sprachverlust redet man von Aphasie. Das Gespräch mit Patric Husistein wurde im Hinblick auf den morgigen Tag der Logopädie geführt (siehe Text unten). Das Interview ist in die Schriftsprache umgeschrieben, aber mit Absicht nur geringfügig redigiert worden.
Patric Husistein: Ich würde sagen (stockt) Befreiung ..., sich ausdrücken können .... und ja, man wird als normal angeschaut, wenn man reden kann.
Ich habe nicht gewusst, was los ist. Der Arzt hat gesagt: Hirnschlag, Aphasie.
Ja, der Arzt hat gesagt, du musst alles nochmals lernen. Der Schock war gross .... Ich habe immer gewusst, was ich sagen wollte, leider kam nichts heraus, oder das falsche Wort.
Das ist sehr erniedrigend. Vor allem, wenn ich an einer Diskussion teilnehme. Jetzt habe ich das nicht mehr. Dass wir über Fussball diskutieren, und ich komme plötzlich mit (sucht nach einem Wort) Sandkasten, und will das gar nicht sagen. Oder ich sage Ja statt Nein.
Wenn wir uns besser kennen, dann kann ich freier reden.
Mit seiner Teilnahme an der Mister-Handicap-Wahl im Oktober machte Patric Husistein auch in der az auf sich und seine Behinderung aufmerksam. Er meint, dass auch bei dieser Wahl seine sprachlichen Fähigkeiten Einfluss auf das Resultat gehabt hätten. Er sei unter Stress stark blockiert gewesen und hätte sich nicht genügend mitteilen können. Umso mehr findet er wichtig, dass die Gesellschaft über die Aphasie aufgeklärt wird.
Patric Husistein ist am Kantonsspital Aarau bei Sandra Zanetti in ambulanter Therapie. Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung, sagt die Therapeutin. Diese tritt ein, nachdem man die Muttersprache bereits gelernt hat. Ursachen können Schlaganfall sein, Hirnblutung, Hirntumor und Schädelhirntraumata. Alle sprachlichen Bereiche sind betroffen, das Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben. «Eine Aphasie ist keine Denkstörung», betont Sandra Zanetti. Sie hat aber psycho-soziale Folgen, die das Berufsleben, das soziale Leben und die Familie verändern.
Ein frühzeitiger unmittelbarer Therapiestart sei sehr wichtig, um die umliegenden Hirnregionen zu aktivieren und eine spontane Besserung zu unterstützen, sagt Zanetti. Auch die psychologische Unterstützung des Patienten sei wichtig.
Dem Patienten werden in der Therapie angepasste Möglichkeiten der Kommunikation vermittelt, wie Kommunikationstafel, iPad, Gestik. Wortfindung, Lesen und Verstehen von Texten werden in der logopädischen Therapie geübt und verbessert. Auch die Erarbeitung von Kompensationsstrategien (Wortumschreibung bei Wortfindungsstörung) ist Teil der Therapie. (kel)
Ja, nervös. Wenn ich mit der Familie rede, ist das kein Problem, die merken nichts. Wenn ich mit jemandem Fremden rede oder wenn ich ein Thema habe, das ich vor Leuten vortragen muss, dann muss ich nach den Wörtern suchen. Ich habe Hemmungen, weil ich nicht weiss, wie die Leute reagieren. Wenn die Leute ungeduldig werden, ist das eine Belastung.
Nein, über mein Schicksal zu sprechen, damit habe ich kein Problem. Ich rede eigentlich sehr gern darüber. Das Problem sind Fachdiskussionen oder englische Wörter, da habe ich eher Mühe.
Ich möchte es den Leuten sagen, dass ich einen Hirnschlag gehabt habe, eine Aphasie. Ich will ihnen so sagen: Ich brauche einfach etwas mehr Geduld.
Kommt darauf an, es kommt immer auf die Stimmung an, ob ich ausgeruht oder gestresst bin, ob ich einen super Tag habe ... dann kommen die Wörter.
Nein, das ging erst recht nicht. Das weiss ich noch, als ob es gestern gewesen wäre. Der Arzt sagte, schreib mal deinen Namen. Ich wusste, wie der Buchstabe aussieht, aber ich konnte ihn nicht schreiben. Da flogen der Block und der Stift weit weg ...
Nicht aus Zorn. Ich wusste nicht, was das soll. Es war wie eine Ohnmacht, hilflos, unbeschreiblich. Da wusste ich, dass es eine harte Zeit wird.
Ich bin normal zur Schule gegangen, auf dem Velo, bekam Kopfweh, sehr fest, habe mir zuerst nichts dabei gedacht, dann habe ich nichts mehr mitbekommen von den Klassenkameraden, ich wurde ohnmächtig und bin ins Gras gefallen. Nachher kam der Arzt zur Unfallstelle. Der Dorfarzt. Er hat mich mit dem Privatauto in die Kinderklinik nach Aarau gefahren, mit dem Verdacht auf einen epileptischen Anfall. Der Oberarzt hat gesagt: Nein, das ist ein Hirnschlag.
Das gibt es. Auch bei Kleinkindern.
Ja, einseitig.
Eigentlich schon, also nicht grad sofort. Ich weiss nicht mehr genau wann, aber ich denke innerhalb einer Woche. Ich war neun Monate ... im Spital.
Nein, gar nicht. Es war zuerst vorgesehen, aber der Oberarzt meinte, dass es sehr wahrscheinlich heikel ist. Dass eine Operation die Situation eher noch verschlechtern könnte.
Ja, sehr, sehr mühsam. Am Anfang habe ich ... Wörter wie «momo» sagen müssen. Ich habe wirklich bei null beginnen müssen. Silben bilden ... (sucht nach Wörtern) ... es war sicher eine schwere Zeit. Aber ich habe gewusst, ich muss das machen, ich muss das packen.
Täglich.
Sicher zwei Jahre.
Ich war neun Monate im Spital. Dann ein Jahr in Gailingen, Deutschland. Erst da habe ich ein wenig die Schule besucht.
Das ist ein Rehabilitationszentrum für Neurologie. Für Kinder und Jugendliche.
Ich wollte wieder einmal Logopädie machen. Um herauszufinden, ob sich etwas verbessert. Die Therapeutinnen haben mir Möglichkeiten aufgezeigt, was ich noch machen kann.
Nico ist der älteste, zwölf, Luca ist neun und Sandro fünf.
Ja (lacht).
Wir waren im Ausbildungszenrum Brunau, einer Ausbildungsstätte für Körperbehinderte. Dort habe ich sie kennen gelernt. Michelle.
Ja, sie trägt eine Beinprothese.
Wie alle anderen auch. (Lacht)
Ja, ich habe eine Bürolehre gemacht und dann weitergebildet als IT-Supporter. Ich habe Koch werden wollen, als ich noch normal war ... «normal» in Anführungszeichen ...
Ja, da war ich ja vierzehn, da sollte man es schon langsam wissen. Koch konnte ich nicht mehr werden, schwere Pfannen und so. Und dann habe ich meine Berufung gefunden. IT-Support. Ich helfe gern den Leuten bei Computerproblemen.
Nein, ich bin angestellt. Zwar nicht mehr als IT-Supporter, aber ich möchte wieder zurück in die IT. Aber es ist schwer, bei einem Vorstellungsgespräch die richtigen Worte zu finden.
Nein, eigentlich nicht. Ich kann mir mit alternativen Techniken helfen.
Ich mache viel mit der Familie, gehe in das Jinenkan. Das ist eine traditionelle japanische Kampfkunst. Und ich bereite mich auf den StrongmanRun vor.
Am 6. Juni findet er in Engelberg statt. Ein Hindernislauf der Superlative. Ich will ins Ziel. Hirnschlag und Aphasie sind kein Hindernis, sie sind ein Teil von mir.