Podium in Aarau
Erinnerung an das Leben zweier verfolgter Juden im Sport

Nach seiner Flucht in die Schweiz trainierte der Jude Fritz Kerr den FC Aarau. Fliehen musste auch sein Freund Kurt Landauer, ehemaliger Präsident des FC Bayern München – eine Geschichte gegen das Vergessen.

Hermann Rauber
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Archivar Andreas Wittner, Autor Dirk Kämper, Katharina Kerr, Moderator Michael Guggenheimer und Eberhard Schulz (v.l.) diskutierten in der Stadtbibliothek.

Archivar Andreas Wittner, Autor Dirk Kämper, Katharina Kerr, Moderator Michael Guggenheimer und Eberhard Schulz (v.l.) diskutierten in der Stadtbibliothek.

Sophie Rüesch

Kurt Landauer und Fritz Kerr waren zwei vom Fussball Besessene. Beide waren jüdischen Glaubens und wurden Opfer der nationalsozialistischen Rassengesetze in Deutschland. Landauer, der «Erfinder» des FC Bayern München, und Kerr als Trainer der Stuttgarter Kickers erlebten bereits 1933, im Jahr der Machtergreifung Hitlers, die Ausgrenzung und Verfolgung auf brutale Weise.

Kurt Landauer musste vom Club-Präsidium zurücktreten und landete später im KZ Dachau, ehe ihm die Ausreise in die Schweiz gelang. Fritz Kerr musste den Trainerstuhl in Stuttgart räumen, wurde verhaftet und floh im letzten Moment in die Schweiz, nach Aarau.

Den Schicksalen gerecht werden

Es ist symbolhaft, dass am Dienstagabend, genau am 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz in der Aarauer Stadtbibliothek ein Podium stattgefunden hat, das den beiden Schicksalen gerecht zu werden versuchte. Dirk Kämper, assistiert von Andreas Wittner, dem Archivar des FC Bayern München, las aus seiner Biografie über Kurt Landauer (erschienen im Schweizer Verlag Orell Füssli).

Katharina Kerr schöpfte aus dem Nachlass ihres Vaters, während Eberhard Schulz die Initiative «!Nie wieder» vertrat, die gegen das Vergessen historischen Unrechts und für einen Sport ohne Rassismus in der heutigen Zeit kämpft.

Die beiden Lebensläufe sind beredtes Zeugnis für die damalige Judenverfolgung im Sport und für das Weiterleben nach 1945. Katharina Kerr ist überzeugt, dass sich ihr Vater und Kurt Landauer «gekannt und sicher in der Schweiz auch gesprochen haben», floh doch der Münchner anfangs 1939 nach Genf, während Kerr in der gleichen Zeit Trainer von Lausanne Sports war.

Jedenfalls steht der Name Landauers auf einer vergilbten Adressliste, die sich im Nachlass von Fritz Kerr befindet. Der aus Wien stammende Kerr kam also 1933 von Stuttgart zum FC Aarau, den er nach einem Unterbruch auch 1939 mit Erfolg erneut trainierte. Wenige Monate nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs floh Kerr zusammen mit seiner jungen Frau, der Aarauerin Elsa de Maddalena, nach Argentinien, wo er als Kaufmann im Familienunternehmen tätig war.

Gemeinsamkeiten gibt es auch bei der Entwicklung nach Kriegsende. Beide Fussball-Urgesteine kehrten trotz Bedenken nach Deutschland zurück, Landauer bereits 1946, wo er bei den Bayern erneut das Vereinspräsidium übernahm, 1951 aber in die Wüste geschickt wurde. Kerr heuerte ebenfalls 1951 beim gleichen Club an, der ihn 1933 schmählich im Stich gelassen hatte, nämlich bei den Stuttgarter Kickers.

War es eine «Trotzreaktion»? Oder ein Gefühl von verlorener Heimat? Oder gaben nach dem Zusammenbruch in Europa ökonomische Gründe den Ausschlag? Das Podium unter Leitung von Michael Guggenheimer in der Stadtbibliothek konnte die Frage nicht abschliessend klären, wahrscheinlich spielten alle drei Möglichkeiten zusammen eine Rolle.

Treffen mit dem FC Aarau

Es ist auch sieben Jahrzehnte nach den Ereignissen in Deutschland richtig, die Folgen des Nazi-Terrors zu thematisieren. Doch es gelte, so Katharina Kerr, heute «aus der Geschichte Lehren für die Gegenwart zu ziehen». Darum bemühen sich unter anderem die Initiative «!Nie wieder» und die Kulturstiftung des deutschen Fussballbundes, und zwar im Bereich der Völkerverständigung und Integration sowie gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus im Sport.

Gerade persönliche Schicksale wie jene von Kurt Landauer und Fritz Kerr schaffen es auf anschauliche und eindrückliche Weise, auch die heutige Generation zu sensibilisieren.

«Ein Abend für die Vereinigung» hiess das Motto der Aarauer Veranstaltung. Dieses zeigt bereits erste Früchte. Am Nachmittag trafen sich erstmals Vertreter der beiden Clubs von Trainer Fritz Kerr, der Stuttgarter Kickers und des FC Aarau, zum Gespräch. Gut möglich, dass sich hier sportliche Kontakte ergeben oder, so Katharina Kerr, «ganz einfach nur Freundschaften», durchaus im Sinn und Geiste von «!Nie wieder».