Massenentlassung
Ein Tag nach dem Alstom-Schock: «Erstaunt dich das wirklich?»

Auch am Tag nach dem angekündigten Stellenabbau ist der Abbau der von Alstom zu General übergangenen Stellen Gesprächsthema Nummer eins in Oberentfelden. Er sorgt für Ärger, Unverständnis und Ungewissheit.

Katja Schlegel
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Zwei Monate nach der Übernahme von General Electric prangt noch immer das «Alstom»-Logo auf dem Gebäude.

Zwei Monate nach der Übernahme von General Electric prangt noch immer das «Alstom»-Logo auf dem Gebäude.

Ueli Wild

Die Kioskfrau am Engelplatz in Oberentfelden schiebt das Fenster auf und pustet sich in die geballten Fäuste. «Ich kenne ein paar, die da arbeiten», sagt sie und nickt. «Aber ich frage nicht nach. Das schmerzt zu sehr. Das ist eine Katastrophe.»

Es ist der Tag danach, der Tag nach Bekanntwerden des grossen Stellenabbaus bei Alstom. Am Mittwoch hat die neue Eigentümerin, General Electric, mitgeteilt, bei Alstom Schweiz 1300 Stellen zu streichen. Davon betroffen sind die Standorte Baden, Birr, Dättwil, Turgi und Oberentfelden. Wie viele der 700 Mitarbeiter hier im Dorf ihre Stelle verlieren werden, ist aber auch am Tag danach noch immer unklar.

Die Oberentfelder sind sich von ihrer Alstom und den ganzen Besitzerwechseln in den letzten Jahrzehnten zwar einiges gewohnt. Doch die erneute Ungewissheit treibt viele um. Offen will keiner darüber reden. Aber jeder kennt hier jemanden, der bei Alstom arbeitet, der auch vom Stellenabbau betroffen sein könnte. «Das erschreckt einen wahnsinnig, so eine Nachricht. All diese Arbeitsplätze», sagt eine ältere Frau an der WSB-Haltestelle, den Kopf tief in den Kragen ihres Mantels gezogen.

Sie wohne neben dem Firmengelände. «Ich sehe die Arbeiter da ein- und ausgehen. Jetzt werden es wieder weniger.» So, wie die Jahre zuvor, wie nach jedem Besitzerwechsel. «Jedes Mal wurden es wieder etwas weniger.» Die Frau reibt Daumen und Zeigefinger aneinander, verzieht das Gesicht zu einem verächtlichen Grinsen. «Es geht immer nur ums Geld. Da will wieder einer mehr verdienen.» Sie selbst sei ja schon alt. «Aber das sind junge Familien, die es jetzt trifft. Die haben hier gebaut, haben sich etwas aufgebaut. Was wird aus ihnen?»

«Alles aus Gewinnsucht»

Diese Angst, diese Ungewissheit, die beschäftige viele ihrer Kunden, sagt auch die Kioskfrau. «Die Leute sind betroffen und ängstlich, sie wissen nicht, was morgen passiert.» Sie habe gehört, bei Alstom habe es genug Arbeit. Sie zuckt mit den Schultern. «Was soll man denn noch glauben?»

Ein Rentner schüttelt verständnislos den Kopf. «Das ist einfach tragisch. Schade, dass solche Arbeitsplätze verloren gehen – und das alles aus Gewinnsucht.» Sein Begleiter zieht die Augenbraue hoch: «Erstaunt dich das wirklich? Mich nicht, bei all diesen Wechseln.» Es sei doch immer das Gleiche: «Die neuen Besitzer versprechen, es bleibe alles beim Alten – und dann räblets.»

Schlimm sei die Situation für die Mitarbeiter über 50, finden beide. «Die bekommen höchstens noch einen Handlangerjob», sagt der Rentner. «Und dann? Viele wohnen doch hier im Dorf. Dann leiden wir alle darunter, wegen der Steuerausfälle und der Sozialhilfe.» Trotzdem. Den Teufel wollen beide Herren nicht an die Wand malen. «Ändern können wir es ja doch nicht, wir müssen es nehmen, wie es kommt. Wir setzen jedenfalls die Fahnen nicht auf halbmast deswegen», sagt der Begleiter.

Ganz anders sieht das eine junge Frau in einem Restaurant. Sie sagt, die Nachricht über den Stellenabbau ha-
be sie sehr getroffen. «Mein Stiefvater arbeitet da.» Mehr wisse auch er nicht, noch sei alles offen. «Er hofft, dass ihn seine Arbeitserfahrung vor einer Entlassung schützt.» Aber wer wisse das schon.

Schweigen vor Alstom-Gelände

Bei der Gemeindeverwaltung heisst es, zwei Leute hätten am Schalter gefragt, ob man genaue Zahlen zum Stellenabbau kenne. Aber sonst sei es ruhig, sagt Gemeindeschreiber-Stellvertreter Dario Steinmann. Selbst an der Infoveranstaltung am Mittwochabend zum Zukunftsraum Aarau, wenige Stunden nach Bekanntwerden des Alstom-Kahlschlags, sei es kein Thema gewesen. «Die Leute nehmen die Nachricht wohl zur Kenntnis, warten aber ab. In den letzten Jahren ist rund um diese Firma so viel passiert. Vielleicht ändert sich die ganze Sache ja wieder.»

Vor dem Alstom-Firmengelände ist es kurz vor Mittag ruhig. Der Reif auf der Wiese und den Sitzbänken, der tiefgraue Himmel, irgendwie scheint alles eingefroren, erstarrt. Nach ein paar Minuten marschiert eine Gruppe Männer in Richtung Dorf, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, die Fäuste in den Jackentaschen vergraben.

Als sie Notizblock und Kugelschreiber sehen, schlagen sie einen grossen Bogen und starren zu Boden. Ein anderer Mitarbeiter eilt vorbei, ignoriert jede Frage. Ein hochgeschossener Kerl bleibt schliesslich stehen und weist zum Haupteingang. Man solle doch für solche Fragen gefälligst an den Informationsschalter gehen und sich da an die Pressestelle wenden, blafft er. Dann eilt er wutschnaubend weiter. Wer kanns ihm verübeln.