Aarau
Die Stunden der Wahrheit schlagen für die Grossfusion

45'000 Einwohner und 45'000 Arbeitsplätze: In den nächsten Monaten soll der Zukunftsraum Aarau, die elftgrösste Stadt der Schweiz, entstehen.

Nadja Rohner, Katja Schlegel
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Im Juni 2020 stimmen fünf Gemeinden an den Gemeindeversammlungen bzw. im Einwohnerrat über die Fusionsanalyse ab.

Im Juni 2020 stimmen fünf Gemeinden an den Gemeindeversammlungen bzw. im Einwohnerrat über die Fusionsanalyse ab.

Sandra Ardizzone

Jetzt ist klar, dass der bisherige Fahrplan mit dem Nachzügler Suhr nicht mehr gilt. Der Entscheidungsprozess soll viel schneller vorangetrieben werden. Idealerweise im März 2021, im schlechteren Fall spätestens im Juni 2021, soll feststehen, welche von den fünf Gemeinden Aarau, Suhr, Densbüren, Unter- und Oberentfelden bei «Gross-Aarau» mit dabei ist.

In allen Städten und Dörfern wird es mindestens eine Volksabstimmung geben. Sagt die Stadt Aarau Nein, ist das Projekt definitiv gestorben. Sagt eine der anderen vier Gemeinden Nein, gibt’s einen Zukunftsraum light. Im Extremfall fusionieren nur Densbüren und Aarau.

Micha Wernli

In Aarau entscheidet vorerst der Einwohnerrat

In Aarau wird der Einwohnerrat am Montag, 8. Juni, über die Aushandlung eines Fusionsvertrags abstimmen. Es wird erwartet, dass er Ja sagt – und es dürfte kaum jemand die Arbeit des Unterschriftensammelns für ein Referendum auf sich nehmen. Denn 2021 werden die Aarauer ohnehin an der Urne abstimmen können. Politbeobachter erwarten eine Annahme.

Im zweigeteilten Suhr dürfte es so oder so ein Referendum geben

Suhr ist die zweigeteilte Kandidatin: Im November 2016 hatte die Gemeinde sich per Gmeinds-Beschluss aus dem Zukunftsraum verabschiedet. Mit einer hohen Stimmbeteiligung (47,4%) und 52 Prozent Ja-Stimmen kehrten die Suhrer den Entscheid im Februar 2017 in einer Referendumsabstimmung um.

Im März 2019 hiess es, Suhr brauche mehr Zeit für die Fusionsanalyse und könne deshalb erst im Herbst 2022 abstimmen. Ein Zeitplan, der nun überholt ist. An der Landsgemeinde am 20.Juni entscheiden die Suhrer über den Auftrag an den Gemeinderat, Fusionsverhandlungen aufzunehmen oder nicht. Dieser Entscheid untersteht dem fakultativen Referendum.

Bei rund 5600 Stimmberechtigten liegt das Quorum für einen definitiven Entscheid an der Gmeind bei 1120 Stimmen oder 20 Prozent. Würden also am 20. Juni so viele Suhrer Ja beziehungsweise Nein sagen, wäre der Entscheid endgültig. Das ist unwahrscheinlich; laut Gemeindegeschäftsführer Philippe Woodtli rechnet der Gemeinderat mit rund 1000 Teilnehmern.

Wahrscheinlicher ist ein Referendum, das nachträglich ergriffen wird. Dafür wären 10 Prozent beziehungsweise rund 560 Unterschriften nötig. Eine solche Referendumsabstimmung fände im September 2020 statt.

Nach welcher Methode die Stimmen an der Landsgemeinde gezählt werden sollen, ob mit Urnen, Handerheben oder wie im Appenzell mit Drehkreuzen, ist noch nicht entschieden. Nicht festgelegt hat sich bisher Gemeindepräsident Marco Genoni: Spätestens in den Unterlagen für die Landsgemeinde wird der Gesamtgemeinderat Farbe bekennen müssen. Sagen, ob er für oder gegen die Fusion ist.

Neu können die beiden Entfelden unterschiedliche Wege gehen

Bisher war vorgesehen, einen Fusionsvertrag Aarau-Unterentfelden-Oberentfelden auszuarbeiten. Das hätte bedeutet: Sagt eines der beiden Entfelden Nein, ist die Fusion vom Tisch. Die neue Ausgangslage (bloss ein Fusionsvertrag für alle Gemeinden) würde nun aber auch ermöglichen, dass bloss eine der beiden Gemeinden mit Aarau zusammengeht. Ganz überraschend wäre das nicht: Unterentfelden, quasi der Südhang der Stadt, fühlt sich tendenziell eher Aarau zugewandt, als dies Oberentfelden tut.

Das zeigte sich auch 2016 an einer Bevölkerungsbefragung: Die Oberentfelder würden – wennschon – eine Fusion nur mit Unterentfelden bevorzugen. Unterentfelden hingegen favorisierte damals das Dreierpäckli mit Aarau. Für eine Fusion im Gesamtperimeter des Zukunftsraums konnten sich damals nur rund 30 Prozent begeistern – in beiden Dörfern. Fairerweise muss man sagen: Jetzt, da die Ausgestaltung der künftigen Kantonshauptstadt sehr viel konkreter ist, können sich die Meinungen beidenorts geändert haben.

Die Gemeinden entscheiden am 8. Juni, gleichzeitig wie der Aarauer Einwohnerrat. Die für ein Referendum nötige Anzahl Unterschriften beträgt in Oberentfelden etwa 490 und in Unterentfelden etwa 250 (je 10 Prozent der Stimmberechtigten). In Unterentfelden schaffte Bäcker Stefan Röösli 2017 das Referendum gegen einen Zukunftsraum-Entscheid; an der Urne bestätigte sich dann jedoch das Ja der Gemeindeversammlung.

In Densbüren mobilisiert die Fusionsfrage extrem stark

Densbüren führt die Gemeindeversammlung am 12. Juni durch. Zuletzt haben die Stimmbürger Nein gesagt zu zusätzlichen Fusionsabklärungen mit Herznach und Ueken – ein Bekenntnis zum Zukunftsraum oder doch zur Selbstständigkeit? Bei der Gmeind im Herbst platzte der übliche Versammlungsraum aus allen Nähten.

Der Gemeinderat wird noch entscheiden müssen, ob er die Versammlung am 12. Juni anderswo abhält. In der Turnhalle oder unter freiem Himmel, wie es Suhr plant. Auch in Densbüren ist ein Referendum denkbar, da es im Dorf sowohl engagierte Befürworter als auch Gegner gibt. Es bräuchte rund 140 Unterschriften.

Tiefere Steuern als Lockvogel

Ein wichtiges Argument für die Fusion der fünf Gemeinden ist das Geld: 8,2 Mio. Franken Betriebskosten würden jedes Jahr gespart, der externe Fachexperte JC Kleiner GmbH geht sogar von 10,6 Mio. Franken aus. 23 Vollzeitstellen würden in den Verwaltungen wegfallen. Der Traum von tieferen Steuern wäre Tatsache: Die neue Stadt würde mit Steuerfuss 97 Prozent starten, demjenigen von Aarau.

Die vier anderen Gemeinden haben heute Steuerfüsse von zwischen 108 und 117 Prozent. Die Grossfusion würde vom Kanton mit rund 14 Mio. Franken belohnt. Die Umsetzung der Fusion dürfte 9,1 Mio. Franken kosten, die restlichen 4,9 Mio. Franken würden in das Nettovermögen der neuen Stadt fliessen. Die neue Stadtverwaltung würde auf mehrere Standorte verteilt. Der Einwohnerrat würde proportional in vier Wahlkreisen gewählt und es gäbe elf Stadtteilkommissionen mit eigenem Projektbudget. (dvi)