János Moser ist fasziniert vom Wunderlichen. In «Leopardenmeister» treibt er Verwirrspiele mit der Wirklichkeit und lässt seine Protagonisten in der Aarauer Altstadt Geister jagen.
Hier küsst der Jupiter und das Skelett flucht. Ein Gespenst geht um in der Aarauer Rathausgasse und über dem Bodensee bringt eine schwebende Insel ein Flugzeug zum Absturz. Der Aarauer Autor János Moser erzählt in «Der Leopardenmeister» 13 Geschichten, die die Realität nicht zuliesse.
Meist beginnt es recht unverdächtig, die Schauplätze kennt die Leserin vielleicht sogar von eigenen Spaziergängen. Doch in wenigen Sätzen nehmen die alltäglichen Begebenheiten absurde Wendungen. Mal skurril, mal düster im Ton, nicht selten gar beides. «In der Literatur reicht mir die Realität nicht aus», sagt János Moser. Sein Genre ist die Fantastik. Seine Welt ist nicht durch und durch magisch wie in der Fantasy-Literatur, sondern doppelbödig und nicht immer eindeutig. Dass man während der Lektüre an E.T.A. Hoffmann denkt, ist kein Zufall, seine düsteren Märchen und Novellen haben Moser überhaupt erst zum Schreiben inspiriert.
Was geschieht wirklich, was ist Illusion? «Es gibt Dinge, die wir wissen, und Dinge, die wir nicht wissen», würde der Fisch in der vorletzten Erzählung des Büchleins dazu wohl meinen. Nicht jede Frage braucht eine wahre Antwort − erst recht nicht in der Literatur.
Wie Träume, gar Albträume haben Mosers Erzählungen durchaus komische Elemente. Der Bruchpilot über dem Bodensee stösst auf ein Volk Vogelmenschen und gerät in ihrer Gefangenschaft in einen blutrünstigen Krieg. Ein Hustenanfall, aus- gelöst durch die kühle Zugluft in den Wolken, macht ihn zum Kriegshelden. In einer anderen Geschichte wird ein ärgerlicher Tritt gegen eine streunende Katze mit einer lebenslangen Allergie bestraft. Zoodirektoren verwandeln sich in Leoparden und Hasen entführen Lehrer.
Überhaupt sind es immer wieder Tiere, die die Handlung vorantreiben. Lange seien Hasen Mosers Lieblingstiere gewesen. «Einige Ideen entstammen Kinderträumen», sagt János Moser, «ich habe Ideen von früher neu betrachtet.» Ein Kinderbuch ist «Der Leopardenmeister» aber keineswegs geworden. Es sind Märchen für Erwachsene: Es geht um Existenzängste und Existenzberechtigung, wenn das Skelett vom Leben enttäuscht zum Doktoranden spricht: «Im Vergleich zu den alten Meistern sind wir nichts.»
Die Protagonisten der Geschichten sind dem Geschehen ausgeliefert, gegen die Wirrungen ihrer Realitäten kommen sie kaum an. Wie die Menschen im echten Leben auch haben sie nicht jede Entscheidung selbst in der Hand. Nicht immer braucht es dazu die grossen Begriffe wie «Schicksal», manchmal sind es einfach Zufälle: Mal ist es ein Blickwechsel auf dem Dorffest. Oder eben ein Verkehrspolizist, der ausser Dienst einen Unfall beobachtet, der ihn auf Gespensterjagd durch die Rathausgasse in Aarau schickt.
János Moser ist in Aarau zuhause. Nur fürs Germanistikstudium zog er zeitweise nach Bern und Zürich. 2017 liess er in einem Roman einen Meteoriten einen Krater ins Mittelland schlagen. So wirft der junge Autor in seinen Texten einen fantastischen Blick auf die Region.
János Moser: «Der Leopardenmeister». Phantastika. Caracol, 2021. 109 Seiten. Lesung am 27. 5. Aargauer Literaturhaus, Lenzburg.