Aarau
Die Kissen im neuen B&B sind aufgeschüttelt: Hier soll es zwitschern wie im Vogelhaus

Der Umbau war eine Knacknuss, doch jetzt ist alles parat: Das Bed & Breakfast «zum graf» an der Pelzgasse 31 wird am Mittwoch seine Türen öffnen. Am grossen Tisch im Entrée ist nicht nur Platz für Übernachtungsgäste.

Katja Schlegel
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Vögel auf dem Duschvorhang, passend zum Vogelhaus
10 Bilder
So sieht das B&B von aussen aus
Im Schaufenster ist der Silberecu ausgestellt
Die Zimmer sind geräumig und hell
Der Blick durchs Treppenhaus
Impressionen aus dem Bed & Breakfast in der Aarauer Pelzgasse
Die eiserne Wendeltreppe wurde wieder eingebaut
Der Kofferkiosk im Treppenhaus
Die Krone ist omnipräsent
Auch im Schaufenster lässt sich gut sitzen

Vögel auf dem Duschvorhang, passend zum Vogelhaus

Sandra Ardizzone

Diese Decken erneuern, diese schrägen Wände verputzen? Das geht nicht. Hier ein Badezimmer? Das geht nicht. Dazu ein bekümmerter Blick, Kopfschütteln, Schulterzucken. Das geht nicht, sagten Schreiner, Zimmermänner, Installateure, Maler, Elektroniker. Heute lächeln Cécile und Tobias Graf darüber.

Und wie das alles gegangen ist. Viel Zeit hat es die Handwerker gekostet, vielleicht mal einen roten Kopf und jederzeit absolutes Können. «Aber zum Schluss hatten alle Freude an der Herausforderung, alle hat der Ehrgeiz gepackt», sagt Tobias Graf. Jetzt ist es fertig: Das Bed & Breakfast an der Pelzgasse 31 ist eingerichtet, die Kissen sind aufgeschüttelt, die Kaffeemaschine ist angeschlossen. Am 1. Juni eröffnet das Paar aus Thalheim das Haus «zum graf» offiziell. Vier Zimmer auf fünf Etagen, klein, fein, heimelig, mit Platz für höchstens zwölf Personen.

Der Umbau war eine Knacknuss: Die Grafs mussten eine Asbestsanierung durchführen lassen. Dann konnte die Mulde nur einmal pro Tag geleert werden, weil die Lastwagen nicht öfter zufahren konnten. Und dann das Bauliche: Zu den Wohnungen in den Obergeschossen gab es keinen eigenen Eingang. «Man konnte nur über das Nachbargebäude und dank einer Personaldienstbarkeit in die Wohnung gelangen», sagt Tobias Graf.

Erst musste das Haus bis auf die alten Balken ausgehöhlt und ein Treppenhaus geschaffen werden, das vom Erdgeschoss bis ins Dach reicht. Und dann war da die alte Bausubstanz, in der kein Meter gerade verläuft. «Die uralte Bausubstanz», korrigiert Tobias Graf und lacht.

Der Silberbatzen aus den Balken

Bei den Arbeiten fürs Treppenhaus fiel ein kleiner Schatz zu Boden: eine Silbermünze aus dem Jahr 1727, ein sogenannter «Silberecu», versteckt in einer Ritze. So viel wert, dass ein Gast damals eine Woche lang mit Mahlzeiten in einer Schenke hätte absteigen können. Doch die Münze war nicht das einzige Fundstück und schon gar nicht das älteste: Die Kantonsarchäologie untersuchte die Gemäuer und fand heraus, dass das Haus einen spätmittelalterlichen Kernbau aufweist, der immer wieder vergrössert und umgebaut wurde; was auch erklärt, warum keine Wand gerade verläuft. Den Kernbau konnten die Archäologen auf 1326 datieren – also auf die Gründungszeit der Stadt.

Das liess nicht nur die Herzen der Archäologen höherschlagen. «Das ist etwas ganz Spezielles. Es ist eine Ehre, einem solchen Haus neues Leben einhauchen zu dürfen.» Für die Grafs war klar: Ein so altes Haus soll kein Museum sein, aber es muss alt bleiben. So wurde zwar jedes Zimmer mit einem modernen Badezimmer-Kubus versehen, alles andere aber alt und schief belassen, das Moderne der alten Substanz angepasst.

Selbst die eiserne Wendeltreppe, die der frühere Hausbesitzer einst vor der «Laterne» gefunden, nach Hause geschleift und in der Wohnung eingebaut hat, wurde restauriert und ins Dachgeschoss versetzt. Belassen wurde auch die Tramschiene, die im Erdgeschoss zur Stabilisation in die Wand eingebaut wurde. Sie stammt vermutlich aus der Bahnhofstrasse, aus der Zeit um 1900, als die WSB noch hier durchfuhr. Ob die Schiene ihren angedachten Nutzen tut und tragend ist, weiss keiner. «Aber sie soll hierbleiben, sie gehört zum Haus.»

Metzgerei wird zum Vogelhaus

Jetzt ist aus dem uralten Haus also ein Bed & Breakfast geworden – just 100 Jahre, nachdem die Familie Morach hier ihre Metzgerei eröffnet hat. Als Andenken daran hängt im Treppenhaus eine kleine Galerie aus dem Morachschen Fotoalbum, daneben Aufnahmen von der Bushof-Wolke, dem Stadtmuseum oder dem Maienzugvorabend. Ein kleiner Reiseführer, durch die Zeit und durch die Stadt, gerahmt und an die Wand genagelt.

Die Grafs wollen, dass sich ihre Gäste im Haus bewegen, deshalb auch die Galerie im Treppenhaus. Für spezielle Reisetipps hat Cécile Graf ausserdem im obersten Stock eine Ecke für Geheimtipps eingerichtet; hier will sie Aaraus schönstes Bänkli, den besten Drink oder das spannendste Theater anpreisen. Auf halbem Weg nach oben finden die Gäste ausserdem einen Kofferkiosk. Und dann gibt es noch Platz für «Nischenkunst», Künstler, die ihre Werke im B&B ausstellen dürfen.

Begegnen sollen sich die Gäste nicht nur im Treppenhaus, sondern auch am grossen Tisch im Erdgeschoss. Hier sollen alle zusammenkommen, auch Gäste von der Gasse sind willkommen. «Ich wünsche mir ein Kommen und Gehen, wie in einem Vogelhaus», sagt Cécile Graf. Am Tisch wird auch das Frühstück serviert. Ein Zmorge, wie es das auch zu Hause gibt, mit frischem Zopf und regionalen Produkten. Eier gekocht und Speck gebraten wird im «zum graf» nicht. Dafür gebe es die Cafés in der Nachbarschaft.

Führen werden die Grafs das B&B übrigens ganz allein. «Wir hatten ein Leben lang Angestellte, das hier wollen wir selber machen», sagt Tobias Graf. Für die beiden geht damit ein Traum in Erfüllung: Immer wollten sie ein B&B betreiben. Und als sie das Haus an der Pelzgasse besichtigten, war klar: Das ist es. «Lage und Optik haben uns so gut gefallen, dass wir uns sagten: Entweder wir machen das hier und jetzt, oder wir begraben den Traum.» Jetzt setzen sie ihrem Traum die Krone auf.