Aarau
Der Region Aarau fehlt es an Kinderärzten – Verbesserung ist nicht in Sicht

Die Kinderärzte in der Region Aarau sind völlig überlastet. Die Versorgung in Aarau wäre eigentlich gut, weil aber die Menschen aus den unterversorgten Gebieten aus der Umgebung nach Aarau strömen, werden die Plätze immer knapper.

Janine Müller
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Junge Ärzte gründen kaum noch eine Praxis. Die Folge ist eine Unterversorgung, auch in Aarau.

Junge Ärzte gründen kaum noch eine Praxis. Die Folge ist eine Unterversorgung, auch in Aarau.

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Dem dreijährigen Luca geht es nicht gut. Seine Krankheit ist nicht akut, trotzdem möchte ihn seine Mutter von einem Kinderarzt in Aarau untersuchen lassen. Die Familie ist kürzlich hierher gezogen und hat noch keinen neuen Kinderarzt. Die Suche gestaltet sich schwierig. Die Mutter wird überall abgewiesen.

Die Praxen in und um Aarau nehmen wegen Überlastung keine Patienten mehr auf oder dann nur in Ausnahmefällen, wenn ein Hausarzt ein Kind überweist. Auch die KSA-Kinderarztpraxis am Bahnhof ist ausgelastet. Ein Anruf lohne sich aber immer, sagt Henrik Köhler, Pädiatrie-Chefarzt.

Kinderarzthaus wimmelt nicht ab

Die einzige Möglichkeit: Das Kinderarzthaus am Bahnhof. «Wir weisen keine Patienten ab», sagt Christine Seith, Geschäftsführerin von Kinderarzthaus. Andere Ärzte äussern sich skeptisch zur betriebswirtschaftlich geführten Praxis, wo mehrere Ärzte auch Teilzeit arbeiten. Sie sprechen von Sprachbarrieren und einer unpersönliche Behandlung.

Diesen Eindruck bestätigt Barbara Weilenmann, Allgemeinärztin in Rohr und Präsidentin des Ärzteverbandes Bezirk Aarau. «Das Kinderarzthaus ist betriebswirtschaftlich geführt. Da kann es zu vielen Arztwechseln kommen.» Das müsse aber nicht zwingend die medizinische Qualität beeinträchtigen. Wolfgang Brunschwiler, Präsident der Kinder- und Jugendärzte im Kanton Aargau und praktizierender Kinderarzt in Suhr, ergänzt: «Das Kinderarzthaus hat zu einer besseren Versorgung beigetragen.» Aber: Die Leute wünschten sich einen Arzt, der ihr Kind über längere Zeit begleiten kann.

Nachfolge nicht überall sicher

Das Kinderarzthaus hat im September eine weitere 100-Prozent-Stelle geschaffen, 2014 kommt eine weitere dazu. Trotzdem dürfte sich die Situation verschärfen. «Einige Kinderärzte in der Region wie Christian Hindermann und André Perrenoud werden in den nächsten Jahren pensioniert. Nicht überall ist die Nachfolge gesichert», gibt Brunschwiler zu bedenken. «Junge Ärzte suchen keine selbstständige Tätigkeit.»

Auch weil die Ansprüche an Kinderärzte stark gestiegen seien. Oft würden sie eine Anstellung mit möglichst geregelten Arbeitszeiten anstreben.

Eltern sind rascher verunsichert

Jede 100-Prozent-Stelle, die vakant wird, müsste heute mit 170 Stellenprozenten ersetzt werden, findet Brunschwiler. Die Beratungsarbeit ist immer gefragter, Fragen rund um die Entwicklung seien wichtiger geworden. Die Betreuung der Kundschaft mit Migrationshintergrund sei wegen sprachlicher Schwierigkeiten zeitaufwendig, sagt Brunschwiler. «Eltern sind allgemein rascher verunsichert, wenn die Kinder krank sind. Sie suchen den Kinderarzt schneller auf als früher.»

Auch sei der Frauenanteil bei Kinderärzten hoch; der Bedarf an Teilzeitstellen dadurch ebenfalls. Das Kantonsspital Aarau beispielsweise bekundet Mühe, Oberärzte für die stationäre Pädiatrie zu finden, die im Nacht- und Schichtdienst arbeiten.

«In Aarau reicht die Versorgung eigentlich, wären da nicht die Patienten aus anderen Gebieten», sagt Seith. Brunschwiler dazu: «Es gibt bei den Kinderärzten ein grosses Stadt-Land-Gefälle. Weite Gebiete des Kantons Aargau und auch der Nachbarskantone sind unterversorgt. Darum kommt es zum Patienten-Zustrom aus vielen Gebieten nach Aarau.»

Möglichkeiten, die zur Verbesserung beitragen könnten, sei die Abschaffung des Numerus clausus, findet Brunschwiler. Dies, obwohl die Schweizerische Universitätskonferenz kürzlich mitteilte, dass man am Numerus clausus festhalten wolle, weil dieser den Ärztemangel nicht beeinflusse (az vom 23.10.).

Hoffnung setzt Brunschwiler in den Gegenvorschlag zur Hausarztinitiative und macht gleich Werbung für seinen Beruf: «Wir haben einen wundervollen Beruf. Er ist abwechslungsreich und wir haben die sympathischste Kundschaft die es überhaupt gibt; wir sind am Puls der Zeit.»

Wann zum Kinderarzt?

Nicht jedes Kind muss in einem Krankheitsfall zwingend zu einem Kinderarzt. Oft kann der Familienarzt einspringen. «Ein normales, ansonsten gesundes Kind ohne chronische Krankheiten kann von einem Allgemeinmediziner behandelt werden», sagt Wolfgang Brunschwiler.

Allerdings würden nicht alle Kinder annehmen. Nach einer schwierigen Geburt oder bei komplizierten Krankheitsbildern empfiehlt sich der Besuch beim Kinderarzt.