Kolumne
Der Maienzug und die Heimat

Felix Bertram
Felix Bertram
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Der traditionelle Maienzug in der Aarauer Altstadt.

Der traditionelle Maienzug in der Aarauer Altstadt.

SEVERIN BIGLER

Bald ist es wieder so weit. Exil-Aarauer und Standorttreue kommen am ersten Freitag im Juli zusammen und fluten die Innenstadt von Aarau. Es ist offensichtlich die Sehnsucht nach Heimat und Heimatgefühl, für die viele Menschen weite Reisen auf sich nehmen, um sich zu sehen, Aktuelles auszutauschen und die Vergangenheit heraufzubeschwören.

Daheimgebliebene und Exilanten versuchen vorsichtig, im Anderen ein leises Bedauern zu erkennen – sei es darüber, die Heimat nie verlassen zu haben oder eben genau das Gegenteil.

Der Maienzug ist das verbindende Element so vieler Menschen, die daran viele gemeinsame Erinnerungen knüpfen – begonnen als Schüler beim Umzug und später fortgesetzt am Maienzugvorabend. Ich glaube, es gibt kaum eine Stadt im deutschsprachigen Raum ohne ein jährliches Stadtfest. Ein Stadtfest schafft Identität und ist so etwas wie ein riesiges Klassentreffen.

Im Verlauf des Abends wird Alkohol zur Essenz der Wahrheit und man beschwört sich, dass es doch zuhause – in der Heimat – am schönsten ist.

Heimat ist dort, wo man sich mit einem Bier freudig begrüsst und man das Gefühl hat, es sei eigentlich alles wie immer. Wie vor 10 oder 20 Jahren. Nur die Bäuche sind ein wenig dicker geworden und die Haare lichter und grauer. Der eine wird beneidet, ob seines Erfolges oder seiner schönen Frau, der andere bedauert, weil er geschieden oder arbeitslos ist. Oder beides. Willkommen sind dennoch alle.

Die 77 schönsten Bilder vom Maienzug 2018:

Für den Festumzug am 6. Juli 2108 mussten sich die Teilnehmer gut einpacken.
77 Bilder
Es regnete praktisch durchgehend, weshalb es ohne Pelerine nicht ging.
Bitte lächeln!
Stadträtin Franziska Graf ist bereit für...
... den Umzug, der hier durch die Rathausgasse zieht.
Einige freuten sich mehr,...
... andere hatten ein eher flaues Gefühl.
Standartenträger Doga Turhan bei der Besammlung.
Turhan mit Familie und Weibelin.
Einen niedlichen Anblick boten die Kleinen trotz des schlechten Wetters.
Rico, seine Mutter, Gino und Schulleiterin Carmen Pirovano am Maienzug (von links).
Einmarsch der Tambouren.
Auch die Pöstlerin hatte sich – zumindest ein wenig – für den Maienzug herausgeputzt.
Stadtpräsident Hanspeter Hilfiker war unter dem Schirm gut geschützt.
Stadtrat Daniel Siegenthaler (SP) grüsst das Publikum.
Es folgen weitere Bilder vom Umzug.
Der versammelte Aarauer Stadtrat.
Nach dem Umzug verlagerte sich das Geschehen zum Telliring.
Auch bei Regenwetter...
... tanzten...
...
... spielten...
... und sangen die Kinder.
Viel Engagement trotz miesem Wetter.
Da braucht es eine Zwischenverpflegung.
Stadträtin Marclay-Merz sprach als Maienzugkommissions-Präsidentin zum Publikum.
Anna und Andreas Koch haben sich vor Jahren am Maienzug lieben gelernt.
Genauso wie Silvia und Herbert Berner.
Es folgen weitere Bilder aus dem Telliring.
Das Bankett fand dieses Jahr wegen des Regenwetters in der Schachenhalle statt.
Das AZ-Team mit Flurina Dünki, Anja Suter, Katja Schlegel (linke Seite von vorne nach Hinten) und Ruth Steiner, Janine Gloor und Nadja Rohner (rechte Seite von hinten nach Vorne).

Für den Festumzug am 6. Juli 2108 mussten sich die Teilnehmer gut einpacken.

Chris Iseli

Auch wenn der Aargau mittlerweile mein Zuhause ist und ich am Maienzugvorabend jeweils meinen Plausch habe, so spürt man doch, dass es für die Ur-Aarauer etwas anderes, etwas Besonderes ist. Man steht über den Abend verteilt in unterschiedlichen Grüppchen und spürt, dass die meisten eine gemeinsame Vergangenheit teilen. Man tauscht witzige Anekdoten zum Bankett auf der Schanz oder in der Schachenhalle aus und was alles schon an lustigen und verrückten Dingen dort passiert ist. Wetterkapriolen und die dazugehörigen Jahrgänge werden aufgezählt, Paare die sich am Maienzug gebildet und wieder aufgelöst haben.

Der Maienzug hat eine 400-jährige Tradition. Meine Aarauer Freunde leben diese Tradition immerhin auch seit 40 oder 50 Jahren inklusive der prägenden Kindheit.

Ich habe den grössten Teil meines Lebens hoch im deutschen Norden verbracht, wo es keine Berge hat, aber viel Wasser. Wo man auf dem Fischmarkt Hering isst und im Sommer auf der Alster segelt. Wo in der Nähe der sagenumwobenen Reeperbahn alljährlich der Hafengeburtstag gefeiert wird – das Hamburger Pendant zum Maienzug. Nur ohne «Vorabend», dafür aber ein ganzes Wochenende lang.

Es war kürzlich einer dieser ersten wirklich sonnigen Tage in diesem Jahr, als ich in Hamburg morgens aus dem Hotel kam. Ich hörte die Möwen kreischen, in der Ferne hupte ein Tankerschiff auf der Elbe, die frische Meeresbrise begrüsste mich mit einem gefühlten «Moin Moin» ... und da spürte auch ich dieses wohlige Gefühl von Heimat. Ein Gefühl, welches man in dieser Form vermutlich nur mit dem Ort verbinden kann, an dem man seine Kindheit und Jugend verbracht hat.

Als ich ein paar Tage später für eine kurze Auszeit weiter nach Sylt fuhr und am ersten Morgen beim Bäcker in der Schlange stand, da hörte ich von links hinten ein «Grüezi Herr Bertram». Erschrocken drehte ich mich um und blickte in die freundlichen Gesichter eines Ehepaars. Sie seien Aarauer und kämen bereits seit Jahren nach Sylt. Man lese im Übrigen meine Kolumne sehr gerne. Auch die kürzlich erschienene Kolumne zu Sylt. Sylt sei mittlerweile ihre zweite Heimat ...

Da wurde es mir klar. Heimat ist kein Ort. Heimat ist ein Gefühl.

Der Autor Dr. Felix Bertram (44) ist ärztlicher Leiter und Inhaber von Skinmed, dem Zentrum für Dermatologie und plastische Chirurgie in Aarau. Er lebt im Raum Lenzburg.