Aarau
Der Letzte der Einwohnerräte ist in Wirklichkeit ein Überflieger

Ein anstrengendes Politjahr ist zu Ende: Ein Gespräch mit dem best- und dem schlechtestgewählten Einwohnerrat, sprich mit Oliver Bachmann (SP – 2270 Stimmen) und Peter Jann (GLP – 640 Stimmen).

Sabine Kuster
Drucken
Peter Jann, Direktor Naturama, in der aktuellen Ausstellung des Aargauer Naturmuseums.

Peter Jann, Direktor Naturama, in der aktuellen Ausstellung des Aargauer Naturmuseums.

Alex Spichale

Heute beginnt eine politische Zwischenzeit: Der alte Einwohnerrat tagte gestern zum letzten Mal, der neue wird es am 20. Januar tun. Gelegenheit, um mit zwei Einwohnerräten entspannt ein Bier zu heben: mit demjenigen, der an den Einwohnerratswahlen am besten gewählt wurde, und jenem, der am wenigsten Stimmen machte.

Es ist keine Überraschung, dass Oliver Bachmann, SP, zusagt – mit 2270 Stimmen ist er der Bestgewählte. Aber auch Peter Jann, GLP, setzt sich an den kleinen Tisch im «Einstein». Vermutlich, weil auch ihm klar ist: Trotz der nur 640 Stimmen ist er eigentlich ein Sieger. Dazu später.

Zuerst Bachmann: Er hat mehr als dreimal so viele Stimmen erhalten, ein Glanzresultat. Doch das Abschneiden des SP-Fraktionspräsidenten war zu erwarten gewesen:

Seine Partei ging als Siegerin aus den Einwohnerratswahlen hervor und Bachmann hatte nicht nur den 1. Platz auf der SP-Liste, er ist mit 10,5 Jahren Amtstätigkeit auch am zweitlängsten im Einwohnerrat. Der erst 35-Jährige sagt: «Der Bisherigen-Bonus ist jeweils riesig.»

Turnus der Ratspräsidenten

Die drei grössten Parteien, SP, SVP und FDP, plus eine der kleineren Parteien wechseln sich im Ratspräsidium ab, das jeweils zwei Jahre lang dauert. Auf Marc Dübendorfer (SVP) folgt nun 2014/15 aller Wahrscheinlichkeit nach die bisherige Vize-Präsidentin Martina Suter (FDP). Die Besetzung des Vize-Präsidiums beansprucht die SP für sich.

In zwei Jahren wäre eine kleinere Partei an der Reihe. Grosse Ambitionen haben die Grünen, die - obwohl viertstärkste Partei - seit ihrem Einzug ins Aarauer Parlament vor 27 Jahren noch nie einen Präsidenten aus ihren Reihen stellen konnten. Da die kleineren Parteien an Stärke gewonnen haben, ist zudem damit zu rechnen, dass sie fordern werden, häufiger als nur jedes vierte Mal zum Zug zu kommen. (kus)

Naturama-Job war entscheidend

Das Bier, das vor ihm steht, ist verdient: Bachmann ist eben Vater geworden, am meisten Stimmen aller Einwohnerräte – das freut auch, aber vor allem ist ein anstrengendes Politikjahr vorbei. Die SP stellt nun die Stadtpräsidentin und ist die grösste Fraktion im Einwohnerrat.

Peter Jann hebt das Glas ebenfalls: Einen dritten Sitz haben die Grünliberalen geholt, und dass dieser Sitz an ihn ging, ist die eigentliche Überraschung.

Einen Einheimischen, der den dritten Platz auf der Liste hatte, hat Peter Jann, der erst seit zwei Jahren in Aarau wohnt, überflügelt: Adrian Bircher, Sohn von alt National- und Regierungsrat Silvio Bircher.

«Ich freue mich sehr», sagt Jann, «aber es tut mir für Adrian Bircher auch leid. Ich hätte ihm einen Sitz gegönnt, er ist in Aarau aufgewachsen und engagiert sich intensiv für die Partei.»

Knapp wurde es aber wegen Schwester Felicitas Bircher: Nur sechs Stimmen weniger hat sie erzielt. «Da denkt man schon: Mit dem einen oder anderen habe ich vor der Wahl noch gesprochen, vielleicht hat es das ausgemacht», sagt Jann.

Entscheidender war wohl, dass Jann Direktor des Naturama ist. «Für kleine Parteien wie uns, sind bekannte, gut vernetzte Köpfe besonders wichtig, damit unsere Liste eingeworfen wird», sagt Jann. Er kommt als Direktor des Naturama täglich mit verschiedenen Aarauern in Kontakt.

Bei den grösseren Parteien gilt: Der Wahlkampf findet als Team statt, wer zu viel und teure Wahlwerbung macht, gilt schnell als «Ellbögler».

Also verteilen die Kandidaten höchstens Flyer und zählen vor allem auf persönliche Kontakte und eine gute Vernetzung in der Stadt. Der Wahlkampf findet am stärksten parteiintern statt, wenn es um die Verteilung der Listenplätze geht.

Die Neuen haben Hausaufgaben

Jetzt liegen die Wahllisten im Altpapier. Wer wie viele Stimmen erzielt hat, interessiert an der ersten Einwohnerratssitzung 2014 niemanden mehr. Die Neuen haben bis dahin noch Hausaufgaben zu erledigen: Sie müssen die Gesetze im Rat kennenlernen – auch die ungeschriebenen.

Jann sagt, er habe sich das für die Weihnachtsferien vorgenommen. Politische Erfahrung hat er schon: In Dübendorf war er für die Grünen in der Legislative.

Oliver Bachmann erklärt ihm gleich die Aarauer «Zauberformel» des Ratspräsidiums (siehe Kasten).

Für Bachmann bricht die vierte Legislatur an. Ist er nicht müde, den Neuligen den Ratsbetrieb zu erklären? Klar müsse man sich jedes Mal neu finden, aber: «Das ist auch die Chance, neu zu starten und dass sich das Verknorzte entspannt.»