Kolumne
Bitte kreieren Sie mit aller Liebe weiter kleine, ungesunde Kunstwerke und Kalorienbomben

Dr. Florian Riniker (41) ist neuer Kolumnist der AZ. Er arbeitet als Magen-Darm-Spezialist in Aarau und wohnt in Suhr. Heute widmet er sich dem Thema Backstube in der Adventszeit.

Florian Riniker
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Weihnachtsguetzli – wer kann da widerstehen?

Weihnachtsguetzli – wer kann da widerstehen?

Ich möchte zu Beginn ein Geständnis ablegen: ja, ich esse Teig. Als Jugendlicher war es in meiner Familie üblich, in der Adventszeit von gewissen Guetzlisorten die doppelte Menge an Teig herzustellen, für die einfache Menge an Gebäck am Ende des Tages. Der Rest landete in den Mägen von meinen Geschwistern und mir. Aus eigener Erfahrung und als Fachmann für Eingeweide kann ich Ihnen also versichern, dass es völlig unproblematisch ist, Teig roh zu verspeisen (Achtung: Gilt nicht für Hefeteig, der kann Blähungen verursachen).

Da die Ernährung heutzutage aber ein immer wichtigeres Thema wird und für einige gar einen fast zu relevanten Stellenwert einnimmt, wollen wir heute einen genaueren Blick auf die Backtradition im Advent werfen. Nun, die grossen Feiertage unserer Hauptreligion liegen in einer Jahreszeit, in welcher die Natur in unseren Breiten nur wenig frische Zutaten beisteuert. Unsere traditionellen Guetzlirezepte bestehen demnach aus lagerbaren oder auch in der Winterzeit verfügbaren tierischen Grundstoffen: Butter, Eier, Mehl, Nüsse, Zucker. Wenn wir nun häufig beklagte Unverträglichkeiten unter den Zutaten auszuklammern beginnen und aktuelle Ernährungstrends berücksichtigen wollen, müsste das ideale Weihnachtsgebäck laktose- und fruktosearm, glutenfrei, vegan, hypoallergen und fair gehandelt sein. Was bleibt da an Zutaten? Reismehl und Kokosraspeln. Daraus resultiert dann eine neue Kreation mit eher asiatischem Flair: statt Mailänderli gibt es nun Thailänderli.

Bevor Sie jedoch mein Gedankenexperiment für bare Münze nehmen und neue Rezepte googeln, sollten wir, statt Zutaten auszuschliessen oder Kalorien zu zählen, analysieren, welche der bestehenden Gebäcke «gesünder» sein könnten als andere. Wahrscheinlich überdauern einige Vitamine aus Früchten den Herstellungsprozess, Spitzbuben dürften somit Vitamin C in der Konfitüre mitbringen. Nüsse enthalten nicht nur gesundere Fette, als wir sie in der Butter finden, nein auch Ballaststoffe, Antioxidantien und etliche Spurenelemente: Nussecken und Haselnussmakrönli steigen also als Favoriten ein. Seit Jahrtausenden weiss die Menschheit um den verdauungsfördernden Effekt von Bitterstoffen, zu finden in allen Arten von kräuterhaltigen Digestifs. In Guetzlirezepten aber auch: Somit dürften die im angelsächsischen Raum verbreiteten Rezepte mit Ingwer gut verdaulich sein, bei uns wären es die Pfeffernüsse, Chräbeli und Tirggel.

Bedenken Sie trotz all dieser neuen Aspekte aber bitte, was ich Ihnen als Geniesser aus tiefstem Herzen sagen möchte: Es gibt Zeiten, an denen Traditionen, Freude und Genuss im Vordergrund stehen dürfen. Das sind die Feste und Feiern. Bitte kreieren Sie mit aller Liebe weiter kleine, ungesunde Kunstwerke und Kalorienbomben und feiern Sie das Leben ganz bewusst. Joggingschuhe, Disziplin und Ballaststoffe können ihre Wichtigkeit an den übrigen Tagen des Jahres beweisen.