Ein Streit zwischen zwei Lastwagen-Chauffeuren mündete im September 2019 in eine Schlägerei. Kürzlich sassen sie auf der Anklagebank des Aarauer Bezirksgerichts.
Das Bezirksgericht Aarau wurde kürzlich von drei bulgarischen Herren besucht. Diese marschierten mit breiten Schultern und drei Glatzen in den grossen Saal des Gerichts und brachten eine grosse Parfümwolke mit. Igor und Boris (alle Namen geändert) mussten auf der Anklagebank Platz nehmen. Zwischen ihnen sass eine Dolmetscherin und wirkte sichtlich nervös. Sie begründete ihre Nervosität damit, dass dies ihre erste Gerichtsverhandlung sei.
Grund für die Verhandlung war ein Streit zwischen den beiden Herren, welcher sich im September 2019 entfachte. Beide arbeiteten damals bei der gleichen Transport-Firma und wohnten dazu noch im selben Haus in der Region Aarau.
Boris soll seinen damaligen Kollegen Igor aus einem unbekannten Grund bei der Polizei angezeigt haben. Daraufhin soll Igor ihm nach einem langen Arbeitstag aufgelauert sein und Boris bedroht haben mit: «Ich werde dir den Kopf abschneiden.» Die Diskussion artete in ein Handgemenge aus, wobei Igor mit seiner Grösse deutlich überlegen war. Boris wehrte sich mit seinen Fäusten und nahm anschliessend sein Sackmesser zur Verteidigung.
Bei diesem Kampf wurde Igor durch mehrere Messerstiche verletzt, wonach er ärztlich versorgt werden musste. Boris rechtfertigte sich vor Gericht: «Ich habe mich nur geschützt.» Seine Selbstverteidigung brachte ihm jedoch eine Anklage wegen versuchter schwerer Körperverletzung ein. Die Staatsanwaltschaft forderte eine bedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr, 2000 Franken Busse und einen siebenjährigen Landesverweis.
Aber auch Igor wurde strafrechtlich verfolgt. Seine Anklageschrift beinhaltete einfache Körperverletzung, mehrfache falsche Anschuldigung, Beschimpfung sowie mehrfache Drohung. Er soll nicht nur Boris zusammengeschlagen, sondern auch den dritten Bulgaren im Saal mit dem Tod bedroht und als «Tierkadaver» beschimpft haben. Für ihn forderte die Staatsanwaltschaft elf Monate bedingte Freiheitsstrafe, eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 120 Franken und eine 1600-Franken-Busse. Igor verweigerte zwar seine Aussage, behauptete aber dennoch: «Das ist eine Lüge.»
Nach einer Weile hatte Gerichtspräsidentin Karin von der Weid genug: «Hört das Theater jetzt endlich auf?», fragte sie. Und versuchte, die beiden Beschuldigten zu versöhnen. Mit Erfolg: Nach gut zwei Stunden Verhandlung schüttelten sich Igor und Boris die Hände. Obwohl diese Entschuldigung der Herren mehr erzwungen als echt aussah, zogen beide ihre Strafanträge zurück. So wurden die Verfahren eingestellt. Letztlich blieben den Beschuldigten nur noch die Verfahrenskosten, die sie tragen müssen. Und ein Tipp der Gerichtspräsidentin: «Macht nicht immer eine Anzeige und habt keine Angst voreinander.»