Suhr
Asylbetreuerin Denise Werren ist Löwenbändigerin und Kummerkasten zugleich

Denise Werren betreut allein die Bewohner der Asylunterkunft beim Kantonsspital Aarau. An ihrer Arbeit reizt sie der Umgang mit Menschen unterschiedlicher Kulturen. Die gelernte Coiffeuse kümmert sich seit neun Jahren um Asylbewerber.

Katja Schlegel
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Alltag in der Asylunterkunft Suhr
9 Bilder
Die Kinder haben ihre farbigen Zeichnungen an die Wand geklebt
Eyoel mit seiner roten Plastikgitarre
Im siebten Stock hat Denise Werren ihr Büro, darüber wohnen die Asylsuchenden
In den drei Spielzimmern geht es jeweils hoch zu und her
In der Küche wird Schwarztee mit viel Rohrzucker serviert
Jonathan und der kleine Eyoel beim Teetrinken in der Küche
Mamadou aus Gambia (rechts) und Eyoel aus Eritrea sind wie Brüder
Nachbarn haben Kleider für die Kinder abgegeben

Alltag in der Asylunterkunft Suhr

Sandra Ardizzone

«Alles gut?» Die junge Frau, die Haare in ein Tuch gewickelt, lächelt und nickt. Sie schiebt ihren Ausweis auf die Tischplatte und nimmt den Stift in die Hand, um zu unterschreiben. Denise Werren legt drei Noten auf den Tisch, einen Fünfliber obendrauf: 175 Franken für sieben Tage und eine dreiköpfige Familie. «Danke», sagt die junge Eritreerin, «danke, danke», und schlüpft aus der Tür.

Wir sind auf Stock 7 im ehemaligen Schwesternhaus in Suhr, gleich neben dem Kantonsspital. Es ist das Reich von Denise Werren. Von Stock 8 aufwärts bis Stock 12 leben 26 Asylbewerber, bis Ende November sollen 44 weitere dazukommen. Familien, Frauen mit Kindern, Minderjährige und solche, die medizinische Betreuung in der Nähe brauchen - aber keine junge, alleinstehende Männer. Die Menschen stammen aus Eritrea, Syrien, Bangladesch, Äthiopien, Gambia, Sierra Leone, Kongo, Russland, jeder hat sein eigenes Zimmer. Die älteste Bewohnerin ist 90, das Jüngste ein Baby. «Das Haus ist sowohl Altersheim wie auch Kindertagesstätte», sagt Werren und lacht ihr lautes, raues Lachen.

Ein Fels in der Brandung

Denise Werren ist die Betreuerin der Asylunterkunft. Löwenbändigerin, Kindermädchen, Rezeptionistin, Kummerkasten, Fels in der Brandung. Jeden Tag ist sie hier, von 7.30 bis
17 Uhr, und meist länger. Sie erledigt die Post, koordiniert Termine mit Ärzten und der Mütterberatung, vermittelt die Bewohner in Deutschkurse und Arbeitseinsätze. Sie hört zu, spielt mit den Kindern, bereitet die Zimmer für die Neuankömmlinge vor.

Unterstützt wird sie vom 17-jährigen Mamadou, der allein in die Schweiz gekommen ist. Er hilf Möbel zusammenzuschrauben, schleppt Abfallsäcke, schaut, dass rund um das Schwesternhaus alles sauber ist. Ein Ehepaar aus Eritrea hat den Hauswartsjob übernommen, und jeder Bewohner ist einen Tag in der Woche für das Aufräumen der Küche zuständig. Andere arbeiten auswärts in Beschäftigungsprogrammen, besuchen Deutschkurse. Die Kinder gehen in den Kindergarten oder zur Schule.

Eyoel macht grosse Augen. Er steht in der Küche, an einer Schnur um seinen Hals hängt eine rote Plastikgitarre. Dem Vierjährigen sind die Besucherinnen nicht ganz geheuer. Kein Wort spricht er. Die Frau, die eben unten das Geld abgeholt hat, tischt Tassen, selbst gebackenes Brot und die Zuckerdose auf. Sie heisst Hanna. Der Schwarztee schmeckt süss und stark, irgendwie anders.

Im Brot stecken kleine, schwarze Punkte. Hanna bringt zwei Gläser mit Schwarzkümmel und Nelkenköpfen. Nägeli und Chümmi. Das sei das Geheimnis, sagt sie. Jonathan und Mamadou am Tisch wiederholen: «Nägeli, Chümmi, Nägeli, Chümmi.» Und weil es so lustig klingt, üben sie weiter: «Chuchichäschtli» und «Schiiterbigi.» Da lacht sogar der kleine Eyoel.

Konsequent Deutsch reden

Eigentlich ist Werren gelernte Coiffeuse. Vor neun Jahren hat sie angefangen, sich in Küttigen um Asylbewerber zu kümmern. Gereizt habe sie die Arbeit mit Menschen aus verschiedenen Kulturen. Seit sechs Jahren arbeitet sie für den kantonalen Sozialdienst in Asylunterkünften mit bis zu hundert Menschen. Eine Vorstellung, die vielen die Haare zu Berge stehen liesse.

Und erst noch als Frau. Werren kann das nicht verstehen. «Es gibt überall gute und schlechte Menschen. Man muss vor Asylbewerbern nicht mehr Angst haben als vor jedem anderen.» Hatte sie je Angst? «Nein, noch nicht einmal ein ungutes Gefühl.» Es gebe wohl Auseinandersetzungen wie bei allen anderen auch. «Waschküchen-Probleme», nennt Werren das. «Wo Leute eng aufeinander wohnen, gibt es Knatsch.» Aber diese Unterkunft sei sehr friedlich, der Umgang anständig und herzlich.

Tag der offenen Tür

Am Samstag, 26. Oktober, kann die Asylunterkunft im Schwesternhaus besucht werden.

Werren ist keine Kuscheltante. Sie lacht viel und herzlich, aber man merkt sofort, dass sie auch anders kann. Sie redet mit allen Bewohnern konsequent Deutsch. Und Regeln werden bei ihr eingehalten, basta. Sie erwartet Pünktlichkeit. Wer sie nicht grüsst, den grüsst sie mit Nachdruck wieder und wieder. Und wer sich nicht anstrengt, den erinnert sie unumwunden daran, dass er hier bloss Gast sei. «Ich will den Asylbewerbern weitergeben, wie die Schweiz funktioniert», sagt Werren. «Ich tue mein Möglichstes, diese Menschen zu integrieren. Tag für Tag.