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Der Buchser Regisseur Kuno Bont holt in «Das Deckelbad» ein dunkles Kapitel Schweizer Geschichte in die Gegenwart. Und überzeigt mit seiner Direktheit, auch wenn die Figuren nur teilweise überzeugen.
Die guten Geschichten erzählt das wahre Leben. So hat sich der Filmemacher Kuno Bont von einem Familienschicksal zwischen 1929 und 1955 inspirieren lassen und dabei ein dunkles Kapitel Schweizer Geschichte aufgeschlagen: Zu jener Zeit wurden Menschen «von Amtes wegen versorgt», das heisst sie wurden meist ohne rechtskräftiges Urteil in Strafanstalten, Psychiatrie und Arbeitserziehung gesteckt. In matten Farben und Grautönen holt Bont ein Stück Vergangenheit in die Gegenwart zurück, er behandelt das Tabuthema schnörkellos und direkt.
Die Österreicherin Katharina Walser kommt als Serviertochter in ein kleines Schweizer Bergdorf im Rheintal, wo sie sich in Tres verliebt – verheiratet und Vater zweier Kinder. Die Affäre zwischen der selbstbewussten jungen Frau und dem Bergbauern missfällt den Dorfbewohnern, ganz besonders dem ehrgeizigen Bürgermeister, dem die lebenslustige Kathi ein Dorn im Auge ist. Doch das kümmert die Liebenden nicht: Sie gründen eine gemeinsame Familie und leben abseits im eigenen Glück. Solange, bis Katharinas Sohn einen tödlichen Unfall erleidet und Tres verhaftet wird. Die Justiz mischt sich immer mehr ein, um der «mannstollen» Frau wieder auf den vermeintlich rechten Weg zu verhelfen.
Die Direktheit des Films widerspiegelt sich in den kurzen Dialogen, welche die oft raue, unbeholfene Bauernsprache authentisch wiedergeben. Kein Wort ist zu viel. Auch in der Wahl der Musik beweist Bont gutes Gespür. Zusammen mit der Einsiedler Jodlerin Nadja Räss hat er eine stimmungsvolle Klangwelt erarbeitet, genauestens auf die mysteriöse, dramatische und zuweilen tragikomische Atmosphäre angepasst. Dies alles im Zusammenspiel mit der urigen Berglandschaft – auf eindrückliche Weise von der Kamera eingefangen.
Was in manchen Momenten gestellt, theatralisch wirkt, ist nicht weiter schlimm, denn so entläuft der Regisseur der Gefahr, ein krampfhaftes Abbild der Wirklichkeit kreieren zu wollen. Er inszeniert vielmehr wunderschöne Standbilder, die sich Zeit lassen und symbolisch wirken. So wie beispielsweise die gehässige Besitzerin des Lebensmittelladens, die vor dem Hintergrund des grossen Kirchen-Kreuzes dem Bürgermeister den neuesten Klatsch erzählt.
Handwerklich gut gemacht, hapert es bei der Zeichnung der Figuren, die zu sehr ins Schwarz-Weiss geraten ist: Der wohlgenährte Gemeindepräsident ist die Bosheit in Person, der bierbauchige Wirt ein egozentrischer Lüstling und der hochnäsige Psychiater durchgehend ignorant und skrupellos. Abgesehen von wenigen Nebenfiguren sind einzig Tres und seine schöne Kathi gutherzige Opfer der Justizwillkür. So verliert der Film einiges an Reflexion – es ist leicht zu sagen, der Böse ist schuld. Aber das wirkliche Leben ist komplizierter und besteht nicht nur aus Gut und Böse. An dieser Stelle kippt die Geschichte ins Märchen und verliert an Glaubwürdigkeit.
Dies machen die gute Dramaturgie und das bemerkenswerte Schauspiel wieder wett. Die Mischung machts – diesmal aus Profis und Laiendarstellern. Besonders die beiden Hauptdarsteller Simona Specker und Gian Rupf beeindrucken mit feinfühligem Spiel.
Das Deckelbad (CH 2015) 90 Min. Regie: Kuno Bont. Mit Simona Specker, Gian Rupf, Hans-Peter Ulli u.a. Ab morgen im Kino.