Chronistengezwitscher
Als die Aarauer nach dem Bachfischet noch Fischmus assen

Chronistengezwitscher rund um den Aarauer Stadtbach und den Bachfischet.

Katja Schlegel
Katja Schlegel
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Bachfischet im 2018.

Bachfischet im 2018.

Claudio Thoma

Die Sage lautet, dass die Aarauer ihren Stadtbach der Grosszügigkeit gegenüber den gottesfürchtigen Frauen des Klosters Schänis zu verdanken haben. Diese waren den Aarauern so dankbar für einen Platz für ihr Kloster in der Halde (gegründet 1270), dass sie die Städter vor die Wahl stellten: Entweder würden die Nonnen den Aarauern eine goldene Kette schenken, die rings um die Stadtmauern reichen sollte, oder aber einen Stadtbach. Die Aarauer sollen sich – ohne lange zu überlegen – für den lebensnotwendigen Bach entschieden haben.

Bachfischet Aarau September 1949 Eine Karte aus dem Postkartenbuch "Aarau in alten Ansichten". Titel: Traditionsfest "Bachfischet"-Umzug Aarau September 1949.

Bachfischet Aarau September 1949 Eine Karte aus dem Postkartenbuch "Aarau in alten Ansichten". Titel: Traditionsfest "Bachfischet"-Umzug Aarau September 1949.

Aarau in alten Ansichten

Tote Hunde

In Wirklichkeit wird der Stadtbach seit dem 13. Jahrhundert vom Quellgebiet in Suhr nach Aarau geleitet. Hier versorgte er nicht nur Handwerksbetriebe mit Wasserkraft, sondern diente auch für die meisten Haushaltungen als Lieferant von Trink- und Brauchwasser. Das führte immer wieder zu heftigen Streitereien zwischen den Nachbarn. Mal zwackten die Suhrer dem Stadtbach zu viel Wasser ab, mal warfen die Aarauer den Suhrern mutwillige Verschmutzung des offenen Bachlaufs vor. So soll unter anderem ein Suhrer das Stadtbachwasser für seine Badstuben abgezapft und später als seifige Brühe wieder in Richtung Aarau fliessen gelassen haben. Auch tote Hunde oder Schweine im Stadtbach waren keine Seltenheit.

Blutrot

Eine schauderhafte Anekdote zum verschmutzten Stadtbach: Das Hammerbrünneli (beim heutigen Velo Grassi) galt lange Zeit als Gesund- und Verjüngungsquell. Es hiess, sein Wasser sei heilsam, besonders gegen Gicht und Rheuma. Gestützt wurde diese Behauptung durch die Tatsache, dass das Wasser rötlich schimmerte. So sollen viele mehrbessere Frauen ihren Mägden befohlen haben, das Trinkwasser im Hammer zu holen. Dem roten Schimmer auf die Schliche kamen schliesslich der Brunnenmeister und der Stadtarzt: Über dem Brunnen stand damals das Schlachthaus (heute Tuchlaube). Die rote Färbung stammte vom Blut, das bei Schlachtungen durch eine kaputte Leitung ins Wasser sickerte.

Groppenbreusi

Kein Wunder, beschlossen die Aarauer, das Bachbett mindestens einmal im Jahr zu reinigen und instand zu setzen. Zu diesem Zweck wurde der Schieber in Suhr geschlossen (der sogenannte Bachabschlag), das Bachbett trockengelegt und von Unrat befreit. Erstmals wird dieses «Rumen» anno 1526 erwähnt. Wer sich nicht an der Putzaktion beteiligte, wurde gebüsst. Der Begriff «Bachfischet» kommt auch nicht von ungefähr: Während der Trockenlegung mussten die Groppen abgefischt werden. Die eher unappetitlichen Fische wurden zum «Aarauer Groppenbreusi» vermust.

Sparpotenzial

Gefeiert wurde die Putzaktion des Kanals auch, auf Kosten der Stadt selbstverständlich. Wurden erst nur die «Bachwerker» verköstigt, überbordete die Feier im Laufe der Jahre immer mehr – sehr zum Unmut der zahlenden Stadt. So bemühten sich die Behörden anno 1630, man möge doch Elsässer Wein kaufen, so billig wie möglich.

Feuersbrunst

Die Reinigung dauerte in der Regel vier Tage. Um den Ausfall zu überbrücken, mussten die Städter Wasservorräte anlegen, füllten Flaschen, Züber, Wannen. Im Jahr 1784 endete dies fast in einer Katastrophe, als zwischen der Häuserzeile an der Pelzgasse und der Ringmauer ein Grossbrand ausbrach. Die Wasservorräte waren umgehend aufgebraucht. Ein geistesgegenwärtiger Aarauer ritt wie der Blitz nach Suhr und öffnete den Schieber. So konnte die Katastrophe in letzter Minute abgewendet werden.

Ausgehöhlt

Kürbisse am Bachfischet? Man könnte versucht sein, verächtlich über einen Einfluss von Halloween auf den Bachfischet zu wettern. Doch Kürbisse und Räbeliechtli gehören seit einer gefühlten Ewigkeit zum Bachfischet. So steht in einer Betrachtung von 1846: «Fast die ganze Schuljugend kommt singend mit langen grünen Zweigen, auf welche ausgehöhlte beleuchtete Kürbisse gesteckt sind, an ihrer Spitze ein halbes Dutzend Kadetten-Tambouren, mit den ersten Wellen des Baches heran und durchziehen so die Gassen der Stadt, bis sie der Magen an’s Nachtessen erinnert.»

Chronistengezwitscher

Jeden Monat werfen wir einen Blick in die Chroniken der Aarauer Neujahrsblätter. Wir schauen, was die Stadt vor 20, 50 oder 70 Jahren bewegt hat, und zeigen hübsche Trouvaillen zum Kichern, zum Ärgern oder zum Besserwissen. Diesmal diente als Quelle das Buch von Hermann Rauber zum Bachfischet: «Fürio, de Bach brönnt» (2000).