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Vier Liegenschaften müssen dem 65 Mio. Fr. teuren Neubau «Bahnhof Aarau Süd» weichen. Es entsteht unter anderem der AVA-Hauptsitz.
Die Hintere Bahnhofstrasse ist verengt, ein Durchkommen für Fussgänger nicht mehr möglich. Wer genau hinsieht, stellt fest, an vier Liegenschaften haben Rückbauarbeiten begonnen. Bis ins Jahr 2024 wird in zwei Etappen das Projekt «Bahnhof Aarau Süd» realisiert. Ein 65-Millionen-Franken-Bau unter anderem mit den Büros des Hauptsitzes der Aargau Verkehr AG (AVA), einem modernen WSB-Bahnhof und 64 vorwiegend kleineren Wohnungen.
Der Beginn des Abbruchs ist der Anlass für einen Blick zurück. Auf ein Stück Aargauer Bahngeschichte, auf ein Gebäude, in dem sich Dramen abspielten. In Form von Konkursen, ja sogar einem Mord. Und auf eine Planung, die der Aarauer Stadtrat auch schon als vorbildliche Public-private-Partnership bezeichnete. Die Stadt spielte Relais: Sie besass zwischen 2008 und 2017 das «café métro»-Gebäude und trug damit wesentlich dazu bei, dass das heutige Projekt entstehen konnte.
Die WSB (heute AVA) spielte bei der Entwicklung der Hinteren Bahnhofstrasse eine entscheidende Rolle: 1924 nahm die damalige Wynentalbahn (gegr. 1904) den Bahnhof südlich der SBB-Gleise in Betrieb. Der grosse Sprung erfolgte 1967, als der 260 Meter lange Tunnel von der Entfelderstrasse zum Bahnhof eröffnet wurde und der betriebliche Zusammenschluss der Suhren- mit der Wynentalbahn (organisatorisch seit 1958 fusioniert) erfolgte.
Das gab Leben. Und in der Unterführung florierten die Bäckerei Zubler (bekannt für ihre Truffes) und das «café métro». Das «café», damals eine Art des trendigen Tea Rooms, war wegen seiner Lage ohne Tageslicht eine Attraktion. Und es war ein willkommener Wartsaal, weil der Fahrplan der WSB noch viel weniger dicht war.
Irgendwann ging die Blütezeit des «café métro» zu Ende. Nach dem Tod des Firmeninhabers machte das Unternehmen Anfang 2005 Konkurs. Nach der Ära Zubler war es der Bäcker Rehra, der in der Ostunterführung des Bahnhofs für Leben sorgte. Im Frühling 2006 eröffnete er im Raum des ehemaligen «café métro» eine Backstube. Diese war so konstruiert, dass die Passanten durch die Schaufenster sehen konnten, wie die Bäcker und Konditoren arbeiteten. Die Ära Rehra endete gleich wie diejenige von Zubler – mit einem Konkurs (im Herbst 2011).
Heute ist die Bäckerei Wälchli (Rothrist) in den Räumen aktiv. Sie setzt dabei auch eine Duftmarke: Viele lieben ihre in der Unterführung ausgebackenen Berliner, ebenso viele ärgern sich über den Geruch. Die Wälchlis sind erfolgreich: Für die Bauphase ist ihnen ein Verkaufsprovisorium in der Unterführung bewilligt worden, später, so hiess es am Spatenstich Anfang Dezember, wird die Bäckerei in den Neubau einziehen. Ebenso wie ein Migrolino.
Während die Gebäude Hintere Bahnhofstrasse 36/38/40 primär Wohnhäuser waren, befand sich in der «42» stets auch ein Geschäft, untergebracht im ehemaligen Laden der Bäckerei Zubler. Zeitweise eine Videothek, zuletzt der Spielsalon «Playland». Und im Obergeschoss über ein Jahrzehnt lang das «metro solarium», ein Sex-Salon, in dem unter anderem die Prostituierte Kerstin «Tina» S. arbeitete. Die 40-jährige Deutsche ist an einem Sonntag im Februar 2008 von einem damals 17-jährigen Rupperswiler vergewaltigt und erdrosselt worden.
Für einen kurzen Moment stand das Gebäude «café métro» im nationalen Rampenlicht. Jetzt ist es dann Geschichte.